Medicus 03 - Die Erben des Medicus
wollen, Wohlfahrtsverbände, Senioren ... Der Kampf ums Geld ist geme in und schmutzig und alles andere als ein schöner Anblick. Einige Republikaner geben offen zu, daß sie die Gesetzesvorlage zur Gesundheitsreform zu Fall bringen wollen, da sie andernfalls die Chancen des Präsidenten auf eine Wiederwahl verbessern würde. Andere Republikaner sprechen sich für eine universelle Gesundheitsfürsorge aus, sagen aber, daß sie mit allen Mitteln gegen eine Steuererhöhung oder eine Finanzierung der Krankenversicherung durch die Arbeitgeber kämpfen würden. Einige Demokraten, die an den Wahlkampf denken und finanziell von den Lobbyisten abhängig sind, reden genau wie die Republikaner. Die Nadelstreifenträger im Fernsehen waren übereinstimmend der Meinung, daß jedes neue System stufenweise eingeführt werden müsse, über viele Jahre hinweg, und daß sie sich damit zufriedengeben würden, wenn irgendwann neunzig Prozent der Bevölkerung der Vereinigten Staaten abgesichert wären. Gwen stand unvermittelt auf und schaltete wütend den Fernseher ab. »Idioten! Die tun so, als wären neunzig Prozent Abgesicherte eine wunderbare Errungenschaft. Wissen die denn nicht, daß dann immer noch mehr als fünfundzwanzig Millionen Menschen unversorgt wären? Damit schaffen sie in Amerika eine Art Kaste der Unberührbaren, Millionen von Menschen, die so arm sind, daß sie keine andere Wahl haben, als sich in Krankheit und Tod zu fügen.«
»Wie wird das alles ausgehen, Gwen?«
»Ach, irgendwie werden sie ein praktikables System zusammenstopseln - aber erst nach Jahren vergeudeter Zeit, vergeudeter Gesundheit und vergeudeten Lebens. Doch allein schon die Tatsache, daß Bill Clinton den Mut hatte, dieses Problem ins allgemeine Bewußtsein zu rücken, hat etwas verändert. Überflüssige Krankenhäuser werden geschlossen, andere zusammengelegt. Ärzte verordnen keine unnötigen Untersuchungen mehr...«
Niedergeschlagen sah sie R.J. an. »Die Ärzte werden wohl auch ohne große Unterstützung durch die Politiker versuchen müssen, etwas zu ändern, einige Leute umsonst behandeln zum Beispiel.«
»Das tue ich bereits.«
Gwen nickte. »Verdammt, du und ich, wir sind gute Ärzte, R.J.
Wie wär's denn, wenn wir eine eigene Medizinerorganisation gründeten? Wir könnten damit anfangen, daß wir gemeinsam praktizieren.«
Kurzfristig übermannte R.J. bei diesem Gedanken die Begeisterung, doch sehr schnell gewann die Vernunft wieder die Oberhand. »Du bist meine beste Freundin, und ich liebe dich, Gwen.
Aber meine Praxis ist zu klein für zwei Ärzte, und umziehen will ich nicht. Woodfield ist zu meiner Heimat geworden, die Leute hier sind meine Leute. Was ich mir hier aufgebaut habe ... es gefällt mir. Wie soll ich es erklären? Ich möchte es mir nicht ruinieren.«
Gwen nickte und verschloß mit ihrem Zeigefinger R.J.s Lippen.
»Ich würde nie etwas wollen, das dir etwas kaputtmacht«
»Aber wie wärs, wenn du eine eigene Praxis eröffnen würdest, irgendwo in der Nähe? Wir könnten uns trotzdem zusammenschließen, vielleicht eine Kooperative guter unabhängiger Ärzte gründen. Wir könnten unseren Bedarf gemeinsam einkaufen, uns gegenseitig vertreten, gemeinsam Verträge mit Labors abschließen, uns gegenseitig Patienten überweisen, uns jemanden teilen, der unsere Buchhaltung macht, und gemeinsam überlegen, wie wir die medizinische Versorgung von Nichtversicherten gewährleisten könnten. Was hältst du davon?«
»Ich glaube, sehr viel.«
Am nächsten Nachmittag begannen sie in den Nachbarorten mit der Suche nach Praxisräumen für Gwen. Drei Tage später hatten sie etwas Geeignetes gefunden, in einem zweistöckigen Backsteinbau in Shelburne Falls, in dem sich bereits zwei Anwaltskanzleien, eine Psychotherapiepraxis und eine Tanzschule befanden.
Am Dienstag standen sie vor Tagesanbruch auf, tranken nur schnell eine Tasse Kaffee und fuhren in der frühmorgendlichen Kühle zum Krankenhaus. Gemeinsam mit Dr. Noyes wuschen sie sich die Hände, wie es die Desinfektionsroutine vorschrieb, jene zugleich notwendige und ritualisierte Prozedur ihres Berufsstands. Behandschuht und vermummt standen sie im Operationssaal, als Toby um sechs Uhr fünfundvierzig hereingeschoben wurde.
»Hallo, Kleine!« sagte R.J. hinter ihrem Mundschutz und zwinkerte.
Toby lächelte matt. Sie hing bereits am Tropf: Ringerlaktatlösung kombiniert mit Midazolam als Beruhigungsmittel, wie R.J. von Dom Perrone wußte, dem Anästhesisten, der gerade das
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