Medicus 03 - Die Erben des Medicus
Emigrantenfamilie und war ehemaliger All-American-Basketballspieler für das Boston College.
In der Halle hing ein frühes Bild von ihm, ein ernst dreinblickender Junge mit einer Schuhputzkiste. Als er sich am College einschrieb, hatte er sich bereits in einem Gebäude am Kenmore Square einen winzigen Schuhputzstand gemietet und ließ dort mehrere Leute für sich arbeiten. Während sein Ruhm als Sportler wuchs, wurde das Alex's zum Muß für alle Liebhaber glänzender Schuhe, und bald hatte er einen richtigen Schuhputzsalon mit eigenem Erfrischungsstand.
Er war nicht gut genug, um Basketballprofi zu werden, aber er machte sein Betriebswirtschaftsdiplom und war prominent genug, um von den Bostoner Banken so viel Geld zu bekommen, wie er brauchte, um das Fitneßstudio voller Nautilus-Geräte und ausgebildeter Trainer zu eröffnen. Als Erinnerung an frühere Zeiten gab es in Alex's Gymnasium noch einen Schuhputzsalon, aber aus dem Erfrischungsstand war eine ausgewachsene Bar mit Café geworden. Inzwischen besaß Alex Manakos das Fitneßstudio, ein griechisches Restaurant am Hafen und ein zweites in Cambridge und Gott weiß, was noch.
Sie wußte außerdem, daß er unverheiratet war.
Wann hast du dich denn das letzte Mal mit einem Mann unterhalten, der kein Arzt oder Patient war? Er scheint sehr nett zu sein. Wirklich sehr nett.
»Geh aus mit ihm!« zischte Gwen.
Nachdem R.J. sich geduscht und umgezogen hatte, betrat sie die Bar. Als sie Alex Manakos sagte, daß sie gerne mit ihm ausgehen werde, lächelte er.
»Sehr schön. Sie sind Ärztin, habe ich recht?«
»Ja.«
»Also, mit einer Ärztin war ich noch nie aus.«
Auf was habe ich mich da nur eingelassen! dachte sie. »Gehen Sie sonst nur mit Ärzten aus?«
Er lachte herzhaft, sah sie dabei aber interessiert an. Und so kam es, daß sie sich zum Abendessen verabredeten. Für Samstag.
Am nächsten Morgen brachten der Herald und der Globe Artikel über Abtreibung in Boston. Reporter hatten Vertreter beider Parteien dieses Streits interviewt, und jede Zeitung brachte auch Fotos verschiedener Aktivisten. Der Herald hatte zusätzlich auch Reproduktionen von zwei Gesucht-Plakaten abgedruckt. Das eine zeigte James Dickinson, einen Gynäkologen, der an der Planned Parenthood Clinic in Brookline Abtreibungen vornahm, das zweite war das Plakat von Dr. Roberta J. Cole.
Am Mittwoch wurde bekanntgegeben, daß Allen Greenstein, M. D., zum stellvertretenden Direktor der medizinischen Abteilung am Lemuel Grace Hospital und damit zum NacMolger von Maxwell B. Roseman, M. D., ernannt worden war. In den folgenden Tagen brachten Zeitungen und das Fernsehen Interviews mit Dr. Greenstein, in denen er sich darüber ausließ, daß man schon in einigen Jahren Neugeborene genetisch screenen werde und so den Eltern werde mitteilen können, welche Gesundheitsrisiken im Laufe des Lebens auf ihre Kinder zukommen, und vielleicht sogar, woran sie letztendlich sterben würden. R.J. und Sidney Ringgold trafen sich zwangsweise bei den Chefarztvisiten und bei einer Abteilungsbesprechung, und sie begegneten sich des öfteren auf dem Gang. Sidney sah ihr dabei immer in die Augen und grüßte sie freundlich und herzlich.
R.J. hätte es lieber gesehen, wenn er stehengeblieben wäre und mit ihr geredet hätte. Sie wollte ihm sagen, daß sie sich nicht schämte, Abtreibungen vorzunehmen, daß sie damit eine schwierige und wichtige Arbeit leistete, eine, die sie nur übernommen hatte, weil sie eine gute Ärztin war.
Warum schlich sie dann so schuldbewußt die Gänge ihres Krankenhauses entlang? Scheißkerle!
Am Samstag nachmittag kam sie so früh nach Hause, daß sie noch ausführlich duschen und sich mit Sorgfalt anziehen konnte. Um sieben betrat sie das Studio Alex's und ging ins Café.
Alexander Manakos stand an einem Ende der Bar und unterhielt sich mit zwei Männern.
Sie setzte sich auf einen Hocker am anderen Ende, und er kam sofort zu ihr herüber. Er sah besser aus denn je.
»Guten Abend!«
Er nickte. Er hatte eine Zeitung in der Hand. Als er sie aufschlug, sah sie, daß es die Montagsausgabe des Globe war. »Stimmt das, was da steht? Daß Sie, Sie wissen schon, daß Sie Abtreibungen vornehmen.«
Das war nicht als Anerkennung gemeint, das wußte sie. Sie hob den Kopf und setzte sich aufrecht hin, so daß sie ihm in die Augen sehen konnte. »Ja. Das ist ein legaler und moralischer medizinischer Eingriff, der für die Gesundheit und das Leben meiner Patientinnen von höchster Bedeutung
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