Medicus 03 - Die Erben des Medicus
Beihilfen. R.J. erhielt nur ein Viertelstipendium und ging davon aus, daß sie sich stark verschulden mußte. Ihr Vater hatte ihr durch das Jurastudium geholfen, indem er ihre Einkünfte aus dem Stipendium und den Nebenjobs ein wenig aufbesserte, und er war auch bereit, sie beim Medizinstudium zu unterstützen, auch wenn es Opfer gekostet hätte. Doch die Leute bei Wigoder, Grant & Berlow waren fasziniert von dem, was sie vorhatte.
Sol Foreman, Chef der Abteilung medizinische Rechtsstreitigkeiten, lud sie zum Mittagessen ein, obwohl sie sich noch nie begegnet waren. »Andy Berlow hat mir von Ihnen erzählt. Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Miss Cole, als Anwältin, die Medizin studiert, sind Sie für unsere Kanzlei viel mehr wert denn als Assistentin in der Immobilienabteilung. Sie werden in der Lage sein, die Fakten für wichtige Fälle vom medizinischen Standpunkt aus zu recherchieren, aber gleichzeitig werden Sie Schriftsätze verfassen können, wie ein ausgebildeter Jurist es tut. Wir zahlen gut für diese Art von Fachkenntnissen.« Das war ihr sehr willkommen. »Wann soll ich anfangen?«
»Warum versuchen Sie es nicht gleich?« Während sie also im Ferienkurs Chemie paukte, recherchierte sie gleichzeitig im Fall einer neunundzwanzigjährigen Frau, die an aplastischer Anämie gestorben war, und zwar infolge einer Behandlung mit Penizilinamid, das die Blutbildung im Knochenmark hemmte. Sie machte sich vertraut mit jeder medizinischen Bibliothek in Boston, und sie kämpfte sich durch Karteien, Bücher, medizinische Fachzeitschriften und Forschungsberichte, wobei sie viel über Antibiotika erfuhr. Foreman schien mit dem Ergebnis zufrieden zu sein, und er gab ihr sofort einen zweiten Auftrag. Sie bereitete den Verhandlungsschriftsatz für den Fall eines neunundfünfzigjährigen Lehrers vor, der sich bei einer Operation des Hüftgelenks eine durch ungenügend gefilterte Luft im Operationssaal verursachte Infektion im Knochenmark zugezogen hatte, die drei Jahre in seinem Körper schwelte, bis sie ausbrach und ihm eine instabile Hüfte und ein verkürztes Bein einbrachte. Danach brachten ihre Recherchen die Kanzlei dazu, den Fall eines Mannes abzulehnen, der nach einer erfolglosen Vasektomie seinen Chirurgen verklagen wollte. R.J. wies darauf hin, daß der Chirurg den Mann vor dem Risiko eines Fehlschlags gewarnt und ihm geraten hatte, nach der Operation sechs Monate lang Verhütungsmittel zu benutzen, einen Rat, den der Mann jedoch nicht befolgt hatte.
Bei Wigoder, Grant & Berlow war man sehr angetan von ihrer Arbeit. Foreman zahlte ihr ein monatliches Grundhonorar, zu dem sie sich fast jeden Monat eine zusätzliche Leistungsvergütung verdiente, und er war bereit, ihr so viele Fälle zu übertragen, wie sie bearbeiten konnte. Im September nahm sie, um die finanzielle Lage noch mehr zu entspannen, eine andere Medizinstudentin als Wohnungsgenossin auf, eine sehr schöne schwarze Frau aus Fulton, Missouri, mit dem Namen Samantha Porter. Mit minimalster Hilfe von ihrem Vater war es R.J. nun möglich, die Studiengebühren und ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und dazu noch ein Auto zu fahren. Der Anwaltsberuf, den sie aufgegeben hatte, ermöglichte es ihr, ohne finanzielle Härten Medizin zu studieren.
Sie war eine von elf Frauen in einem Semester von neunundneunzig Studenten. Es war, als habe sie sich verirrt und nun endlich den richtigen Weg gefunden. Jede Vorlesung bedeutete für sie eine enorme Bereicherung. Sie merkte, daß sie Glück gehabt hatte bei der Wahl ihrer Wohnungsgenossin. Samantha Porter war das älteste von acht Kindern, aufgewachsen auf einer kleinen Pachtfarm, die kaum den Unterhalt für die Familie abwarf. Alle Porter-Kinder pflückten Baumwolle und ernteten Gemüse für andere Leute, sie übernahmen jede Arbeit, wenn sie nur ein wenig Geld einbrachte. Mit sechzehn wurde Samantha, damals bereits eine große Frau mit breiten Schultern, von einer Fleischverpackungsfirma angestellt, wo sie nach der Schule und in den Ferien arbeitete. Ihre Vorgesetzten mochten sie, weil sie stark genug war, um schwere gefrorene Fleischstücke zu schleppen, und weil sie gute Manieren hatte und man sich auf sie verlassen konnte. Nachdem sie ein Jahr lang Innereienkarren durch die Halle geschoben hatte, lernte man sie als Fleischerin an. Die Fleischer arbeiteten mit Kettensägen und Messern, die so scharf waren, daß sie problemlos Fleisch und Bindegewebe durchtrennten, und es war nicht ungewöhnlich, daß ein Arbeiter
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