Medicus 03 - Die Erben des Medicus
McCourtney, seine Frau, nahm ab. »Tut mir leid, Dr. Cole, aber Mack ist nicht da.
Ein großer Sechsachser ist auf dieser eisigen Stelle gleich hinter der Müllkippe von der Straße abgekommen, und er ist schon seit neun dort und regelt den Verkehr. Aber ich erwarte ihn jeden Augenblick zurück.«
R.J. erklärte ihr, warum ihr Mann gebraucht wurde. »Schicken Sie ihn bitte zur Farm der Gates, sobald er Zeit hat?«
»Aber natürlich, Doctor Cole. Ich werde versuchen, ihn übers Funktelefon zu erreichen.«
Den Vierradantrieb mußte R.J. erst dazuschalten, nachdem sie in die Pony Road eingebogen war. Von da an ging es steil bergauf, aber die festgefahrene Schneedecke machte das Vorankommen leichter, als es im Sommer auf der Schotterpiste gewesen wäre.
Letty Gates hatte den starken Scheinwerfer über ihrer Stalltür eingeschaltet, und R.J. sah das Licht bereits durch die Bäume, als sie noch ein gutes Stück entfernt war. Sie fuhr auf den Hof und parkte den Explorer vor der Haustür. Sie war eben ausgestiegen und holte ihre Tasche vom Rücksitz, als ein jäher, lauter Knall sie hochschrecken ließ und etwas den Schnee neben ihren Stiefeln aufwirbelte.
Sie wandte sich um und entdeckte im dunklen Rechteck der Stalltür eine Gestalt. Das Licht der Außenbeleuchtung wurde vom Schnee reflektiert und schimmerte matt auf dem Lauf eines Jagdgewehrs, wie sie vermutete.
»Mach, daß du wegkommst!« Er schwankte, als er ihr das zurief, und hob sein Gewehr.
»Ihre Frau ist verletzt, Mr. Gates. Ich bin Ärztin, Doctor Cole, und ich gehe jetzt in Ihr Haus, um sie zu versorgen.« O Gott, dachte sie, das war nicht besonders klug. Sie durfte ihn nicht auf dumme Gedanken bringen, mußte auf jeden Fall verhindern, daß er wieder ins Haus ging und sich erneut über die Frau hermachte.
Er schoß noch einmal, und das Glas ihres rechten Scheinwerfers zersplitterte.
Sie konnte sich nirgends vor ihm verstecken. Er hatte eine gefahrliche Waffe, und sie hatte gar keine. Ob sie sich nun hinter ihr Auto duckte oder sich in ihm verkroch, er brauchte nur ein paar Schritte zu gehen und konnte sie töten, wenn er wollte.
»Seien Sie vernünftig, Mr. Gates! Ich bin doch keine Gefahr für Sie! Ich möchte nur Ihrer Frau helfen.«
Ein dritter Schuß knallte, und ihr linker Scheinwerfer explodierte. Ein vierter riß ein Loch in ihren linken Vorderreifen.
Er zerschoß ihr Auto.
Sie war erschöpft, übernächtigt und so verängstigt, daß sie alle Vorsicht fahren ließ. All die Spannungen, die sich während des Zusammenbruchs ihres alten Lebens in Boston und des Neuanfangs hier aufgestaut hatten, wallten plötzlich auf und kochten über.
»Aufhören! Aufhören! Aufhören! Aufhören!«
Sie hatte ihre Selbstbeherrschung verloren, ihren Verstand abgeschaltet und machte jetzt einen Schritt auf ihn zu.
Er kam ihr entgegen, das Gewehr gesenkt, aber den Finger am Abzug. Er war unrasiert und trug einen schmutzigen Overall, eine fleckige braune Arbeitsjacke und eine karierte Wollkappe mit dem aufgestickten Schriftzug »Plaut's Animal Feeds«. »Niemand hat mich gezwungen, hierherzukommen.« Sie lauschte erstaunt ihrer eigenen Stimme, die wohlmoduliert und vernünftig klang.
Er sah ratlos aus, als er das Gewehr wieder hob. In diesem Augenblick hörten sie beide das Auto. Er zögerte, während Mack McCourtney seine Sirene ertönen ließ, laut und leise wie das Heulen eines riesigen Tiers. Einen Augenblick später rollte das Auto in den Hof, und McCourtney sprang heraus.
»Mach dich nicht unglücklich, Philip! Leg die Waffe weg, sonst sieht's schlecht aus für dich. Du bist entweder eine Leiche oder kommst für den Rest deines Lebens ins Gefängnis ohne die Aussicht, dich je wieder zu betrinken.« Der Polizeichef sprach ruhig und gelassen, und Gates lehnte das Gewehr an die Hauswand. McCourtney legte ihm Handschellen an und bugsierte ihn in den Fond des Jeeps, der mit seiner Drahtgitterverstärkung sicher war wie eine Gefängniszelle. Sehr vorsichtig, als würde sie auf dünnem Eis laufen, betrat R.J. das Haus.
Letty Gates hatte mehrere Prellungen von den Fäusten ihres Gatten sowie Haarrisse an der linken Elle und der neunten und zehnten Rippe auf der linken Seite, wie sich bei der späteren Untersuchung im Krankenhaus herausstellte. R.J. rief den Sanitätswagen, der eben vom Transport des verletzten Lastwagenfahrers ins Krankenhaus zurückgekehrt war. Mrs. Gates' Arm wurde geschient und mit einem breiten Dreieckstuch vor ihrer Brust festgebunden,
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