Medicus 03 - Die Erben des Medicus
daß Daniel Noyes die präklinische Untersuchung vorgenommen hatte und nicht R.J. Er sah sie fragend an. »Ist sie eine Verwandte? Eine Nichte? Oder eine Cousine?«
»Ihr Vater bedeutet mir sehr viel.«
»Aha! Glücklicher Vater.« Er wandte sich zum Gehen, drehte sich dann aber noch einmal um. »Wollen Sie assistieren?«
»Nein, aber vielen Dank!« Sie wußte, daß das als wohlwollende Geste gemeint war, die ihn einige Überwindung gekostet hatte. Sie blieb während der Präliminarien des ersten Tages bei Sarah, um ihr bei der Aufnahme und den medizinischen Voruntersuchungen den Rücken zu stärken. Während des Informationsgesprächs, bei dem Sarah nicht viel Neues erfuhr, weil R.J. bereits jede Einzelheit sorgfältig mit ihr durchgegangen war, wartete R.J. vor der Tür und blätterte in einer zwei Monate alten Times .
Die letzte Station dieses Tages war ein Behandlungszimmer, wo ihr ein Quellstift eingesetzt wurde.
R.J. starrte abwesend in eine »Vanity Fair«, denn sie wußte, daß Sarah jetzt auf dem Behandlungstisch lag, die Fersen in den Fußbügeln, während ihr Beth-Ann DeMarco, eine Krankenschwester, ein fünf Zentimeter langes Stück Blattang in den Gebärmutterhals einführte. Bei Ersttrimester-Abtreibungen hatte R.J. den Gebärmutterhals stets mit einer Folge immer dicker werdender Stifte aus rostfreiem Stahl gedehnt.
Bei Zweittrimester-Abtreibungen war eine größere Öflhung nötig, da eine dickere Kanüle verwendet werden mußte. Der Tang saugte sich über Nacht mit Feuchtigkeit voll und quoll auf, so daß eine weitere Dehnung nicht mehr nötig war. Beth-Ann DeMarco begleitete Sarah zur Tür und erzählte R.J. vom Verbleib von einigen Leuten, mit denen sie gearbeitet hatte.
»Es kann sein, daß Sie einen schwachen Druck verspüren«, sagte die Schwester beiläufig zu Sarah, »und es kann heute nacht auch zu leichten Krämpfen kommen.«
Von der Klinik fuhren sie in ein Hotel am Charles River. Nachdem sie sich eingetragen und ihre Sachen aufs Zimmer gebracht hatten, entführte R.J. Sarah zu »Chef Chang's« zum Abendessen, denn sie hatte vor, sie mit einer duftenden Suppe und Pekingente zu überraschen und abzulenken. Die Überraschung und Ablenkung gestalteten sich jedoch schwierig, weil Sarah zunehmend Beschwerden bekam.
Die Ingwer-Eiskrem mußten sie stehenlassen, denn aus dem »schwachen Druck«, den Schwester DeMarco erwähnt hatte, wurden heftige Krämpfe. Als sie endlich in ihrem Hotelzimmer angekommen waren, sah Sarah blaß und abgekämpft aus. Sie holte den kristallenen Herzstein aus ihrer Tasche und legte ihn auf den Nachttisch, so daß sie ihn sehen konnte, dann rollte sie sich in ihrem Bett wie ein Ball zusammen und versuchte, nicht zu weinen. R.J. gab ihr Kodein, und schließlich streifte sie ihre Schuhe ab und legte sich neben das Mädchen, obwohl sie befürchtete, zurückgewiesen zu werden. Doch Sarah kuschelte sich an ihre Schulter, als R.J. den Arm um sie legte.
R.J. streichelte ihr die Wange und strich ihr über die Haare. »Weißt du, Kleine, irgendwie wünsche ich mir fast, du wärst bis jetzt nicht ganz so kerngesund gewesen. Wenn du dir ein paar Zahnfüllungen hättest machen lassen müssen oder wenn man dir die Mandeln oder den Blinddarm herausgenommen hätte, dann wüßtest du jetzt, daß Dr. Ustinovich sich gut um dich kümmern und alles bald vorbei sein wird. Nur noch morgen, und dann ist es vorbei«, sagte sie, klopfte Sarah sanft auf den Rücken und wiegte sie sogar ein bißchen hin und her. Es schien das Richtige zu sein, und die beiden blieben lange so aneinandergeschmiegt liegen.
Am nächsten Morgen waren sie früh in der Klinik. Les Ustinovich hatte seinen Morgenkaffee noch nichtgehabtund begrüßte sie nur mit einem Nicken und einem Grunzen. Während er sich seine Koffeindosis verpaßte, führte Schwester DeMarco Sarah und R.J. in das Behandlungszimmer und brachte die Schwangere auf dem Tisch in Position.
Sarah war blaß und steif vor Anspannung. R.J. hielt ihre Hand, während DeMarco den parazervikalen Block, eine Injektion von zwanzig Kubikzentimetern Lidocain, verabreichte, und dann mit der Infusion begann. Unglücklicherweise setzte die Schwester die Infusionsnadel ein paarmal vergebens an, bevor sie die Vene fand, und Sarah umklammerte R.J.s Hand so fest, daß es schmerzte. »Gleich fühlst du dich besser«, sagte R.J., während DeMarco die intravenöse Sedierung mit hundert Mikrogramm Fentanyl begann.
Les Ustinovich kam herein und sah ihre miteinander
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