Medicus 03 - Die Erben des Medicus
verschweißten Hände. »Ich glaube, Sie gehen jetzt besser ins Wartezimmer, Dr. Cole.«
R.J. wußte, daß er recht hatte. Sie zog ihre Hand zurück und küßte Sarah auf die Wange. »Bis bald!« Im Wartezimmer setzte sie sich zwischen einem Mann, der konzentriert an seiner Nagelhaut knabberte, und einer Frau, die abwesend in einem zerfledderten Redbook -Exemplars blätterte, auf einen harten Stuhl. Sie hatte sich ein »New Englandjournal of Medicine« mitgebracht, doch die Lektüre fiel ihr schwer. Sie war gründlich vertraut mit dem Ablauf der Prozedur und wußte genau, was in jedem Augenblick mit Sarah passierte. Die Kürettage erfolgte in zwei Absaugvorgängen. Der erste hieß »die lange Sitzung« und dauerte etwa eineinhalb Minuten. Nach einer Pause folgte eine zweite, kürzere Absaugung, bei der etwaige noch verbliebene Reste entfernt wurden. R.J. hatte kaum Zeit gehabt, einen Artikel ganz zu lesen, als Les Ustinovich schon vor die Tür trat und ihr winkte. Als Arzt kannte er nur ein Verhalten: schonungslose Offenheit.
»Die Abtreibung ist vollzogen, aber ich habe die Gebärmutter perforiert.«
»Mein Gott, Les!«
Er warf ihr einen eisigen Blick zu, der sie zur Vernunft brachte. Zweifellos fühlte er sich schon schlecht genug, da bedurfte es kein Salz in der Wunde.
»Sie hat im falschen Augenblick gezuckt. Gott weiß, daß sie keine Schmerzen verspüren konnte, aber sie war ein Nervenbündel. Die Gebärmutterperforation passierte ausgerechnet an einer Stelle, wo eine fibromatöse Veränderung sitzt, es hat also einige Gewebsrisse gegeben. Sie blutet stark, aber das wird schon wieder. Wir haben sie versorgt, und der Krankenwagen ist schon unterwegs.«
Von da an lief für R.J. alles in Zeitlupe ab, so als würde sie sich plötzlich unter Wasser bewegen.
Während ihrer Tätigkeit in dieser Klinik war ihr nie eine Perforation unterlaufen, aber sie hatte immer nur Schwangere bis zum dritten Monat behandelt. Perforationen kamen höchst selten vor, und sie machten eine chirurgische Intervention nötig. Zum Glück war das Lemuel Grace Hospital nur wenige Minuten entfernt. Der Krankenwagen traf sogar so schnell ein, daß R.J. kaum mehr Zeit hatte, Sarah zu beruhigen und zu trösten. Auf der kurzen Fahrt saß sie hinten bei Sarah, die sofort nach der Einlieferung in den Operationssaal gefahren wurde. R.J. mußte nicht erst einen Chirurgen verlangen. Um Sarah kümmerte sich ein Gynäkologe, den R.J. dem Namen nach kannte, Sumner Harrison. Er hatte einen sehr guten Ruf, man durfte also das Beste hoffen.
Das Hospital, das ihr früher so vertraut gewesen war, kam R.J. ein wenig fremd vor. Viele unbekannte Gesichter. Zwei alte Bekannte lächelten und grüßten sie flüchtig, als sie im Korridor an ihr vorbeieilten.
Aber sie wußte noch, wo sich die Telefone befanden. Sie hob einen Hörer ab, zog ihre Kreditkarte durch den Schlitz und wählte die Nummer.
Nach dem zweiten Klingelzeichen meldete er sich.
»Hallo David, hier ist R.J.«
Den Berg hinunter
Als David in Boston ankam, hatte Sarah die Operation bereits hinter sich, und es ging ihr den Umständen entsprechend gut. Er saß an ihrem Bett und hielt ihre Hand, während sie allmählich aus der Narkose erwachte. Zuerst weinte sie, als sie ihn sah, und schaute ihn argwöhnisch an. Aber R.J. hatte das Gefühl, daß er sie genau richtig behandelte. Er war zärtlich und tröstend, und es gab kein Anzeichen, daß er seinen Durst nicht völlig unter Kontrolle hatte. R.J. hielt es für das beste, die beiden eine Weile allein zu lassen. Da sie in allen Einzelheiten wissen wollte, was passiert war, rief sie Beth-Ann DeMarco an und fragte sie, ob sie sich zum Abendessen treffen könnten. Beth-Ann hatte Zeit, und sie trafen sich in einem kleinen mexikanischen Restaurant in Brookline, gleich in Beth-Anns Nachbarschaft.
»Das war vielleicht ein Vormittag, was?« sagte DeMarco. »Ja, was für ein Vormittag!«
»Ich kann den arroz con pollo empfehlen, der ist sehr gut«, sagte Beth-Ann. »Les geht es schlecht. Er redet zwar nicht darüber, aber ich kenne ihn. Ich arbeite jetzt seit vier Jahren in der Hinik, und das ist erst die zweite Perforation, die ich gesehen habe.«
»Wem ist die andere passiert?«
Beih-Ann machte ein verlegenes Gesicht »Zufällig auch Les. Aber die war so winzig, daß eine Operation nicht nötig war. Wir mußten die Patientin nur verbinden und heim ins Bett schicken. Für die Geschichte heute morgen konnte Les nichts. Das Mädchen hat unwillkürlich
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