Meditation
verabschiedet hatte. Er verstand ihren Prozesscharakter, nämlich wie sie entstand und was sie in Gang hielt. Dann brauchte er nichts mehr zu tun, um das Geschehen anzuhalten; er musste sich nur noch vom Feuer fernhalten und es allein ausbrennen lassen. Als er zu dieser Einsicht gekommen war, konnte er mit dem nächsten Anfall dieser finsteren Verfassung viel besser umgehen. Er musste sich nur an das letzte Vorkommnis dieser Art erinnern und wusste, dass der Zustand auch diesmal wieder von selbst vergehen würde. Er bauschte ihn nicht auf, er hatte keine Angst vor ihm, er ließ sich nicht ins Bockshorn jagen. Dadurch war der Zustand leichter zu ertragen, wurde nicht mehr so ernst wie zuvor und hielt nicht mehr so lange an. Und wenn er dann verging, war die Weisheit dieses Mönchs wieder ein wenig stärker geworden. Immer kürzer und erträglicher wurden diese Ausfälle, bis das Problem schließlich ganz überwunden war. Das ist ein schönes Beispiel für Weisheit in Aktion – einfache Weisheit, aber eben doch Weisheit. Wenn wir Probleme verkleinern oder überwinden, ist das immer Weisheit in Aktion.
Schlangen
Die Dynamik dieser unguten Geisteszustände sollte sich unserer Achtsamkeit mitteilen. Wenn wir achtsam sind, sehen wir diese seelischen oder auch körperlichen Zustände kommen und können dann schon eingreifen, bevor sie sich festsetzen. Ein anderer Mönch in meinen frühen Jahren hatte als Soldat am Vietnamkrieg teilgenommen. Er erlitt eine Schussverletzung am Hinterkopf, die auch sein Gehirn verletzte und ihn zum Epileptiker machte. Als Mönch lernte er seine Achtsamkeit so einzusetzen, dass er einen Anfall immer früher vorhersehen konnte. Wenn er schon auf die allerersten Anzeichen reagierte, war es ihm möglich, noch gegenzusteuern – durch Ruhe, Rückzug in sein Zimmer oder andere bewährte Mittel –, sodass der Anfall nicht zum Ausbruch kam. Im Laufe der Zeit wurden die Anfälle nach und nach seltener, und schließlich war er in der Lage, die Anzeichen so früh zu erkennen, dass es überhaupt nicht mehr zu epileptischen Anfällen kam. Mit seiner Achtsamkeit hatte er die Weisheit geschaffen, die eine Lösung des Problems erlaubte. Und genau darauf möchte ich hinaus: Nutzt Achtsamkeit und Weisheit zusammen, um die Probleme abzufangen, bevor sie euch beim Wickel haben.
Wir hatten damals in der Umgebung des Klosters Wat Pah Pong massenhaft Schlangen, und wir selbst besaßen oft genug nicht einmal Sandalen. Die fielen immer ziemlich schnell auseinander, und wir flickten sie zwar notdürftig mit Schnüren oder Stoffstreifen, aber das half auch nicht lange. Taschenlampen hatten wir ebenfalls nicht immer. Wir benutzten die Batterien, bis die Lampen wirklich nur noch müde funzelten, und danach war es finster. Also mussten wir dann am Abend barfuß und im schwachen Licht des Sternenhimmels über diese von Schlangen wimmelnden Pfade zu unseren Hütten gehen. Ich wusste, dass da überall Schlangen sein würden, und weil ich es wusste, konnte ich meine Achtsamkeit darauf einstellen, sie rechtzeitig zu bemerken. Ich bin nie gebissen worden. Ich hatte meiner Achtsamkeit einen Auftrag erteilt, und mit dieser sehr schlichten Weisheit gelang es mir, allen Schlangen auszuweichen.
So könnt ihr es auch vermeiden, von unerfreulichen Gemütszuständen »gebissen« zu werden. Stellt eure Achtsamkeit darauf ein, das Nahen solcher Dinge rechtzeitig zu bemerken. Jeder weiß, dass diese Zustände keinen Frieden, sondern nur Unruhe versprechen. Es sind schlechte Angewohnheiten, die kein Glück zulassen und immer Leid nach sich ziehen. Es ist wie bei Schlangen: Wenn man es so weit kommen lässt, dass man gebissen wird, kann es richtig unangenehm werden. Benutzt also eure Achtsamkeit, um solche Störungen schon im Keim zu erkennen, und seht zu, dass ihr sie umgeht. Dann liegen einfach weniger Schwierigkeiten auf eurem Weg. Die Weisheit sorgt für ein friedliches, glückliches und gesundes Leben, das euch mit Leichtigkeit und im Fluss mit allen Dingen durch die Welt trägt.
Ein glückliches und gesundes Leben ist sicher in sich selbst erstrebenswert, aber das Überwinden unguter Gemütszustände hat durchaus noch tiefere Auswirkungen. Solche Zustände sind eine Form des Leidens, und das macht uns dann manchmal noch negativer, nämlich wütend, deprimiert oder schuldbewusst. Schuldgefühle könnten gar nicht erst aufkommen, hätten wir uns nicht zuvor auf einen negativen und dadurch leidvollen Anstoß eingelassen. Nutzt
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