Medusa
»Woher kennen Sie meinen Namen? Wer sind Sie?« Die Stimme klang nicht unfreundlich, doch spürte Chris eine wachsame Zurückhaltung. Ganz anders als bei den offenherzigen Tuareg, denen er bisher begegnet war. Er legte die Finger an die Stirn und verbeugte sich. »Verzeihen Sie mein Eindringen. Mein Name ist Chris Carter. Ich bin hier mit einer Forscherin namens Hannah Peters. Erinnern Sie sich an sie?«
»Die Frau, die mit den kel essuf redet? Natürlich erinnere ich mich.« Die Augen strahlten mit einem Mal heller und freundlicher. Der Targi löste seinen Mundschutz und entblößte ein breites Lächeln. »Hat sie tatsächlich ihr Versprechen eingelöst, mich zu besuchen? Wo ist sie?«
»Nicht weit von hier, am Fuße der Berge. Die Wanderung aus dem Aïr hat sie sehr mitgenommen.«
Kores Lächeln verschwand. »Sie kommen aus dem Aïr ? Zu Fuß und bei diesem Wetter? Sie müssen den Verstand verloren haben.«
»Wir sind auf der Flucht und wussten keinen anderen Ausweg. Können Sie uns helfen?«
Kore wirkte einen Moment lang nachdenklich, dann legte er den Mundschutz wieder um und pfiff seine Hunde herbei. »Das kann ich so nicht entscheiden. Bringen Sie mich zu ihr.«
Hannah erwachte, und schlagartig waren ihre Erinnerungen wieder da. An den ewigen Marsch, den Sand unter ihren Füßen, der bei jedem Schritt wegrutschte, und an den Wind, der ihr unablässig ins Gesicht wehte. Sie fühlte sich mehr tot als lebendig.
Der kurze Schlaf hatte ihr kaum Erholung gebracht Sie griff nach der Feldflasche, trank einen Schluck und benetzte mit dem letzten Rest ihr Gesicht. Dann wurde ihr bewusst, dass ihre Wasservorräte damit aufgebraucht waren. Wenn Chris den Tuareg nicht fand, dann war hier Endstation. Sie würden keinen weiteren Tag überleben. Neiderfüllt blickte sie zu Boucha, der mit stoischer Miene in den Sturm starrte. Er würde sich auf die Suche nach einem Wasserloch machen, wenn sie und Chris schon vertrocknet und mumifiziert unter einer Sanddüne begraben lagen. Nicht zum ersten Mal in ihrem Leben wünschte sie sich, ein Dromedar zu sein.
Als ob das Tier ihre Gedanken gelesen hätte, hob es den Kopf und grunzte. Hannah drehte sich um und sah zwei Männer auf sich zukommen. Chris und … Kore. Er hatte ihn wirklich gefunden. Sie erhob sich, so gut es ihre schwachen Beine zuließen, und taumelte ihm entgegen. »Kore«, konnte sie noch flüstern, dann kippte sie vornüber in den Sand.
Als sie wieder erwachte, fand sie sich von kühler Dunkelheit umgeben. Sie benötigte einige Sekunden, um zu erkennen, dass sie sich diesmal nicht in einem khaima , sondern in einer Höhle befand. Keiner engen, stickigen und geschlossenen Höhle, wie sie erleichtert feststellte, sondern in einem etwa fünfzig Quadratmeter großen Raum, der auf zwei Seiten Öffnungen besaß, durch die kühle, erfrischende Nachtluft hereinströmte. Draußen auf der Ebene erkannte sie Boucha in der Gesellschaft anderer Dromedare, die im hellen Mondschein nach Grasbüscheln suchten. Der Sturm hatte sich also endlich gelegt. Über ihr, an der Höhlendecke, hingen Pfannen und Töpfe, die im lauen Nachtwind gegeneinander schlugen. Verwundert blickte sie sich um. Sie lag auf einem gemusterten Teppich, der auf dem weichen Sandboden ausgebreitet war, umgeben von weichen Kissen und Decken. Nur wenige Meter von ihr entfernt saßen Kore und Chris an einer Feuerstelle, in ein Gespräch vertieft. Beide rauchten langstielige Pfeifen, die einen wohltuenden und belebenden Duft verströmten. Ihre Stimmen klangen gedämpft zu ihr herüber, doch erkannte sie aus den einzelnen Wortfetzen, dass es um sie ging.
Sie richtete sich auf und bemerkte, dass ihre verschmutzte und zerrissene Kleidung durch eine helle gandura , ein traditionelles Leinenhemd der Tuareg, und eine wadenlange, geschnürte Hose ersetzt worden war. Einer plötzlichen Eingebung gehorchend, blickte sie neben sich und erkannte neben ihrem Kopfkissen die vertrauten Umrisse ihrer Umhängetasche. Sie tastete danach und stellte erleichtert fest, dass sich das apfelsinengroße Auge noch immer darin befand. Was immer Chris über ihr Abenteuer erzählt haben mochte, den Stein schien er jedenfalls verschwiegen zu haben. Eine Woge der Erleichterung umfing sie.
In diesem Moment bemerkte ihr Gastgeber, dass sie erwacht war, und kam zu ihr herüber. » Mademoiselle Peters, comment allez-vous? Was für eine Freude, Sie wieder wohlauf zu sehen. Möchten Sie sich zu uns setzen und etwas zu sich nehmen? Ich kann
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