Medusa
Steinplatte auf sie beide herabsenkte. Chris zerrte und zog wie ein Besessener. Mit übermenschlicher Anstrengung gelang es ihm, seinen Körper über den Rand der Treppe zu ziehen. »Lass doch los, du Idiot!«, schrie er ihn an, doch sein Gegner ließ sich davon nicht beirren. Das Letzte, was er sah, war das diabolische Grinsen des Tontechnikers, der sich an ihn klammerte. Dann hörte er einen Schrei und ein entsetzliches Knirschen, und tiefste Dunkelheit senkte sich auf ihn herab.
21
»Kommandant, Kommandant!« Die Worte gellten durch die kühle Morgenluft. Durand war gerade dabei, sich zu rasieren, als das Tuch vor dem Eingang seines Zeltes zurückgeworfen wurde. Er starrte in die erregten Augen seines Funkers.
»Kommandant, wir haben Morsezeichen empfangen. Das Signal war nur schwach, aber es stammt eindeutig aus dem markierten Gebiet. Hier ist das, was wir entziffern konnten.« Damit reichte er Durand einen schmalen Papierstreifen, auf dem zu lesen stand: Zielobjekt gefunden – wiederhole, Zielobjekt gefunden. Standort: Tal nördlich Djebar-Pass. Zugang verschüttet, müsst sprengen. Erwarte Ankunft in wenigen Stunden. A. B. Stop.
»A. B.?« Der Funker konnte seine Neugier kaum noch zügeln. Durand wischte sich den Schaum aus dem Gesicht und zog sein Oberhemd an. »Albert Beck, unser Verbindungsmann. Konnten Sie die Quelle des Signals lokalisieren?«
» Oui, Monsieur. Es gibt keinen Zweifel. Das Signal stammt aus dem Inneren einer Felsengruppe, deren Lage mit den Angaben in der Nachricht übereinstimmt. Es sind zwei Stunden Fußmarsch von hier.«
Der Oberst winkte ab. »Stellen Sie mir eine Verbindung zum Fort her. Ich will den Helikopter. Und er soll genügend Sprengstoff mitbringen.«
Der Funker salutierte und machte sich daran, die Befehle seines Kommandanten so schnell wie möglich auszuführen. Durand setzte währenddessen sein Barett auf und betrachtete sich wohlgefällig im Spiegel. Naumanns Maulwurf hatte gute Arbeit geleistet. Wenn der Rest des Plans ebenso glatt über die Bühne ging, würde er den Stein schon heute Abend in seinen Händen halten. Er strich sich mit dem Ärmel über die Goldknöpfe und trank einen letzten Schluck aus seiner Kaffeetasse.
Hannah starrte auf ihre Uhr. Den Zeigern zufolge musste es halb acht Uhr morgens sein, doch um sie herum war immer noch tiefe Nacht. Abdu und Gregori dösten vor sich hin, doch sie selbst war viel zu aufgewühlt, um an Schlaf zu denken. Es war schrecklich, ohne den natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus auskommen zu müssen. Schaudernd stellte sie sich vor, wie es wohl sein mochte, ein halbes Jahr in einer Polarstation oder einem Weltraumlaboratorium verbringen zu müssen. Das war nichts für sie. Sie hatte sich nie für einen klaustrophobisch veranlagten Menschen gehalten, aber sie spürte, dass es für sie höchste Zeit wurde, wieder ans Tageslicht zu gelangen.
In den letzten Stunden, während die beiden Männer schnarchend auf dem Boden zusammengerollt lagen, hatte sie Zeit gehabt, sich Gedanken über ihre Rettung zu machen. Das unterirdische Labyrinth war endlos, doch hatte es nirgendwo einen Hinweis auf einen zweiten Ausgang gegeben. Es war jedoch unwahrscheinlich, dass eine Kultur wie diese nicht für den Notfall vorgesorgt hatte. In einem vulkanischen Gebiet musste man mit Erdbeben rechnen. Wie schnell so ein Ausgang verschüttet werden konnte, hatten sie ja schmerzlich erfahren. Nein, nein, es musste weitere Ausgänge geben, sie hatten sie nur noch nicht gefunden.
Hannah zwang sich zur Konzentration. Abgesehen von der riesigen Kaverne, kannten sie bisher nur die obere Krypta und diesen Raum hier. Was war charakteristisch für beide? Sie waren rund und die Innenseiten mit Zeichnungen verziert. Außerdem war der Boden mit feinem Sand bedeckt, aber das konnte noch nicht alles sein. Denk nach, Hannah, denk nach, ermahnte sie sich. Abgesehen davon, dass sich in dieser Höhle hier eine Klangskulptur befand und in der anderen nicht, waren beide Räume nahezu identisch. Aber was war ihre Funktion, wozu hatten sie gedient? Waren es Eingangspforten? Möglicherweise waren sie streng bewacht gewesen, damit nur befugte Personen das Allerheiligste betreten konnten. Wenn dem so war, so schlussfolgerte sie, dann befand sich hier ebenfalls eine Tür, die sie nur noch nicht entdeckt hatten. Ihre Augen suchten den Boden nach einer Unregelmäßigkeit ab, doch vergeblich. Es hätte einer umfangreichen Grabungsaktion bedurft, um herauszufinden, ob sich hier,
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