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Meeres-Braut

Titel: Meeres-Braut Kostenlos Bücher Online Lesen
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holten sie das Kind und schwammen mit ihm durch den Sumpf zu ihrem warmen Nest, wo sie es ihm behaglich machten. So beschützen sie es vor der Nachtmagie der Nymphen und Faune und ermöglichten es ihm, sich an die vorangegangenen Tage zu erinnern.
    Allerdings war es bereits zu Schädigungen gekommen, und außerdem erinnerte sich das Baby ohnehin nicht an sonderlich viel. Doch nach einigen Jahren hatte sich ihr Gedächtnis verbessert, und als sie sich von einem normalen Kind und Mädchen zu einer jungen Frau entwickelte, konnte sie sich ungefähr bis zum Alter von drei oder vier Jahren an gewisse Dinge zurückerinnern. Nun verstand sie, weshalb sie die Nacht nicht im Nymphental verbringen durfte, obwohl sie die Tage dort genoß. Denn weil sie ja keine Nymphe war, pflegte sie auch keinen nymphischen Umgang mit den Faunen. Sie war es zufrieden, ihnen bei ihren Vergnügungen lediglich zuzusehen. Dagegen schwamm sie zusammen mit den Sollteseins, Wesen des Wassers und des Ufers, die auf ihre Art ebenfalls sehr glücklich waren.
    »Sie muß eine menschliche Erziehung genießen, das solltesein«, entschieden die Sollteseins. So überredeten sie einen fahrenden Zentaur namens Zerebral, sie in menschlichen Dingen zu unterweisen. (Aus irgendeinem Grund pflegten Zentaurenlehrer nicht umherzuwandern, sie »fuhren«, was aber praktisch dasselbe bedeutete.) Auf diese Weise lernte Ida zu sprechen wie ein Mensch, sich menschlich zu kleiden und ihr Haar zu bürsten. Nun lief sie nicht mehr nackt herum, wie es die Nymphen taten. Das bedauerte sie zwar, aber der Zentaurenlehrer war sehr strikt, was die Wichtigkeit des Hinhaltens der Sitten der eigenen Art anging, und da er mehr wußte als alle Faune, Nymphen und Sollteseins zusammen, mußte sie sich ihm fügen.
    Sie lernte die Verletzlichkeit des Nymphenwesens kennen. Einige andere Kreaturen jagten Faune und Nymphen. Manchmal kam ein Oger herbeigestampft, packte eine kreischende Nymphe und biß ihr einfach den Kopf ab. Dann hörte sie auf zu schreien, worauf er sie zu einer etwas gemütlicheren Mahlzeit davonschleppte. Nymphen mochten das nicht besonders. Manchmal glitt auch ein Drache durch ihr Gebiet, zerbiß einen Faun in zwei Stücke und verschlang ihn. Wenn es ein feuerspeiender Drache war, pflegte er den Faun zunächst zu rösten. Darauf waren Faune nicht sonderlich erpicht. Doch am nächsten Tag war alles so, als sei nie etwas geschehen: Die Faune und Nymphen gingen ihren Vergnügungen nach, und nie vermißten sie die Opfer. Ida hatte versucht, ihnen von solchen Vorfällen zu erzählen, doch sie hatten ihr nicht geglaubt, weil sie sich an nichts erinnern konnten, was nicht am selben Tag geschehen war. Und nach einer Weile begriff Ida schließlich, daß das für sie wohl das beste war. Was brachte das schon, trauernd schlimmen Erinnerungen nachzuhängen? Dennoch machte es ihr zu schaffen. »Es muß einen besseren Weg geben, das solltesein«, brummte sie.
    »Es gibt auch einen besseren Weg«, teilte Zerebral ihr mit. »Den menschlichen. Faune und Nymphen sind an die Gegenwart gefesselt; genau wie Tiere sind sie Wesen des Augenblicks. Menschen dagegen erinnern sich und reflektieren, fast so, wie es Zentauren tun, deshalb sind sie ihnen überlegen. Vergiß das nicht, denn das kommt in der Pop-Prüfung dran.«
    So lernte Ida also, was ihre Art von anderen Kreaturen unterschied. Sie erinnerte sich tatsächlich und bestand die Prüfung, worauf sie zur Belohnung etwas Pop vom Sodapopsee bekam. Zerebral glaubte an die förderliche Wirkung von Motivationsanreizen. Das bedeutete in normaler Begrifflichkeit, daß man fürs Lernen gute Dinge bekam. Ida hätte es natürlich nie zugegeben, aber tatsächlich machte ihr das Lernen sogar um seiner selbst willen Spaß. Es gab einfach so viel zu wissen, und das fand sie faszinierend.
    Als sie einundzwanzig wurde, jedenfalls dem Urteil des Zentauren zufolge, nachdem er sich ihr Gebiß angeschaut hatte, beschlossen die Sollteseins, daß es so sein sollte, daß sie sich auf den Weg machte, um ihr Glück zu suchen. »Wir lieben deine Gesellschaft«, hatten sie ihr mitgeteilt, »aber wir sind nur Tiere, während du ein Mensch bist. Du hast Besseres verdient.«
    Dessen war sich Ida nicht so sicher, denn ihr erschienen die Sollteseins als wirklich äußerst achtenswerte Wesen. Deshalb fragte sie Zerebral danach. »Es stimmt leider«, erwiderte er. »Du bist ebensowenig ein Solltesein, wie du eine Nymphe bist, und du darfst es nicht zulassen, daß dein

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