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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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dass sie hier und da zu sphärischen Nebeln verschwammen. Welten voller Magie.
    Und dann begann Christopher zu spielen. Zaghaft zunächst, um ein Gespür für die Saiten zu entwickeln, doch schon diese ersten Töne versetzten sie in Entzückung. Sie senkte die Augenlider, lauschte der durch die Stille tropfenden Musik und spürte den Nachtwind auf ihrer Haut. Das war wahrer Zauber.
    „Sometimes when this place gets kind of empty,” hörte sie ihn singen. „Sound of their breath fades with the light. I think about the loveless fascination, under the milky way tonight.”
    Die Härchen auf ihren Armen sträubten sich. Seine Stimme schwebte träumerisch über allem, wunderschön und schmeichelnd. Mit jedem verstreichenden Moment wurde ihre Schönheit größer, bis sie in schwereloser Magie gipfelte. Maya blickte in verträumte Gesichter. Sämtliche Anwesenden lächelten, eingefangen vom Taumel einer Verzückung, die sie nicht begriffen. Alan sank ergriffen in seinen Stuhl, Solanders Augen wurden feucht. Selbst Nico, dessen Gesicht zuvor kalt und hart gewesen war, versank in Entrückung.
    „And it’s something quite peculiar, something that’s shimmering and white, leads you here despite your destination, under the milky way tonight.”
    Alles verschwand in Bedeutungslosigkeit. Es gab nur noch diese Stimme, die schleichend in ihre Seele eindrang. Die sie verführte, lockte und umgarnte. Niemals sollte sie enden. Niemals.
    Als Christopher verstummte und der letzte Ton der Gitarre sanft in der Stille verebbte, blieb es totenstill. Maya spürte den Zauber Schicht für Schicht von sich abgleiten, schwer wie Mäntel aus Blei. Alan und Jeanne weinten, Solander war wie vom Donner gerührt. Nicht besser erging es dem Rest der Crew. Das Schweigen hielt an. Erst, als Maya aufstand und Jerry seine Gitarre zurückbrachte, durchbrachen erste Räusperer die bleierne Stille.
    „Unglaublich“, murmelte jemand. „Ich habe schon eine Menge gehört, aber so eine Gänsehaut hat mir noch keiner verpasst.“

    Über dem restlichen Abend lag eine seltsame Stimmung. Es wurde nicht viel geredet, und wenn, dann geschah es leise, fast verstohlen. Die meisten aßen und tranken stumm, blickten ins Leere oder starrten auf das Meer hinaus. Alan drehte geistesabwesend sein Weinglas hin und her, Solander schien jeglichen Appetit verloren zu haben und Maya grübelte still vor sich hin, den Ellbogen auf dem Tisch abgestützt und das Kinn in ihre Hand gelegt.
    Christopher vermutete, dass er Schuld daran trug. Immer wieder durchbohrten ihn Blicke. Neugierige, staunende, bestürzte Blicke. Ohne Frage besaß seine Stimme sonderbare Kräfte, die unabhängig von seinem Willen auf Menschen wirkte. Wiekurz war er davor gewesen, ihnen zu schaden? Gar ihre Seelen zu rauben?
    Lange dachte er darüber nach. Er lauschte in sich hinein und hörte die fernen Rufe der Wale, die ihm unablässig Bilder vermittelten. Finstere Tiefen, Schiffswracks und Unterwassergebirge mit gewaltigen Schluchten, über die sie hinwegzufliegen schienen. Aber sie vermittelten ihm auch die Qualen, die in den Meeren auf sie warteten. Unerträglicher Lärm, Bohrinseln, Ölfilme auf dem Wasser und von Schiffsrümpfen zerfetzte Artgenossen. Ein gewaltiger Müllstrudel, so groß, dass sie Tage brauchten, um ihn zu passieren. Er hörte die Schmerzenslaute harpunierter Wale in den Erinnerungen der Tiere und wusste auf die an ihn gerichtete Frage, warum so etwas geschah, keine Antwort.
    Irgendwann verkündete jemand, es sei Mitternacht. Man schoss Raketen in den Himmel, die das spiegelglatte Wasser in surreale Farbenspiele tauchten, und während er den visuellen Rausch aufsog, überwältigte ihn die Gewissheit, dass er es tun musste. Heute Nacht. Da waren weder Glück noch Trauer, nur eine Art Betäubung, die von Gewissheit über unabwendbare Tatsachen herrührte.
    „Frohes Neues Jahr.“
    Alan fiel ihm stürmisch in die Arme, gefolgt von Solander und Maya. Um sie herum wurde gelacht, gescherzt und gefeiert, als hätte sich die merkwürdige Stimmung in Luft aufgelöst, doch er wusste, dass dem nicht so war.
    Als er wieder in seinen Stuhl fiel, fühlte er sich wie betrunken. Den Rest der Feier nahm er nur undeutlich wahr. Er hielt Mayas Hand, hörte den Stimmen zu und betrachtete das Gesicht der Frau, die er liebte, um es für später so deutlich wie möglich in seiner Erinnerung abzuspeichern. Bald wurde es leerer an Deck. Einige schleppten sich torkelnd unter Deck, andere schlenderten

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