Meeresblau
das T-Shirt hoch und entblößte das hell leuchtende Muster. Kalte Angst durchdrang seinen Rausch. Er sah es. Er sah den Beweis, und auf Gnade durfte er bei diesem Mann nicht hoffen.
„Was bist du, zum Teufel?“ Die Hand des Mannes legte sich auf seine Brust. Glitt langsam, fast andächtig darüber. „Ich wusste doch, dass etwas nicht mit dir stimmt. Spätestens seit deiner Gesangseinlage. Komm schon, sag mir, wie du das gemacht hast. Das Sonar lügt nicht. Etwas war mit dir da unten. Was versteckt sich da? Hast du deshalb darauf bestanden, die alleinige Verantwortung für unsere Roboter zu tragen? Weil du nicht wolltest, dass wir euch auf die Schliche kommen?“
„Verschwinde!“, stieß er hervor. „Ich habe dir nichts zu sagen.“
Nico hechelte wie ein ausgehungerter Köter. „Du dachtest, niemand würde dich sehen, was? Wäre ich nicht schlaflos gewesen, hätte dein Plan auch funktioniert. Wer weiß, vielleicht liegt es ja an dir, dass diesem Kahn eine ganze Menagerie folgt. So viel wie bei dieser Reise gab es auf den Bildschirmen noch nie zu sehen. Du lockst die Tiere an, stimmt’s? Sie folgen dir wie die Motten dem Licht. Warum?“
Nicos Atem strich über seine Lippen. Er roch nach heißer, widerlicher Erregung. „Was bist du? Eine Chimäre? Ein Zwitterwesen? Oder so was wie eine männliche …“
„Was bitteschön ist denn hier los?“
Eine scharfe Stimme ließ Nico verstummen. Es war Alan, der wie die Vision eines indischen Asketen aus dem bunten Nebel seiner Wahrnehmung auftauchte. Christopher wurde schlecht. Und zwar derart, dass er trotz seiner Benommenheit hochfuhr, Nicos Griff abschüttelte und zur Reling kroch. Gerade noch rechtzeitig steckte er den Kopf durch die Eisenstangen, als sein Mageninhalt auch schon in hohem Bogen herausbefördert wurde.
„Was hast du angestellt, du Mistmade?“ Er spürte eine Hand auf seinem Rücken, die höher glitt und sich um seinen Nacken legte.
„Gar nichts“, brachte er hervor.
„Doch nicht du“, knurrte Alan ihn an. „Ich meine das Arschloch hinter dir.“
Er übergab sich ein zweites Mal. Ihm wurde schwarz vor Augen. Er hörte noch, wie der Schiffsarzt auf ihn einredete und spürte tastende Finger auf seiner Stirn, dann war da nichts mehr.
Bis die Dunkelheit wieder von Stimmen durchdrungen wurde.
„Denkst du, ich lasse mein Heiligtum lange unbeaufsichtigt, du Vollpfosten? Ich habe mir nur was aus der Kantine besorgt. Und als ich zurückkam, habe ich gesehen, wie du aus meinem Labor getürmt bist. Mit zwei Bechern Kaffee. Du hast was reingetan. Was war es? Raus mit der Sprache, du Kröte.“
„Ich habe es nur getan, weil ich einen Beweis brauche. Das ist kein Mensch. Das ist … scheiße, Mann. Das ist irgendwasanderes.“
Alan stöhnte. „Tu mir einen Gefallen, ja? Verpiss dich und schlaf deinen Rausch aus.“
„Und was ist das hier?“ Eine Hand öffnete seine Faust, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. „Du erkennst doch einen Tiefsee-Seestern, wenn du einen siehst. Den hat er vorhin hochgeholt. Siehst du? Er ist noch voller Schlamm.“
„Blödsinn. Wahrscheinlich stammt er aus der Kantine.“
Nico fauchte erbost. „Ich sage es dir, verdammt. Er war dort unten. Knapp eintausend Meter. Ich habe es auf den Bildschirmen gesehen. Soll ich dir mal zeigen, was …“
Er spürte Finger, die nach seinem Shirt griffen, doch mit einem Ruck wurden sie beiseitegerissen. Die Geräusche eines Handgemenges erklangen.
„Weißt du eigentlich, was du da von dir gibst?“, knurrte Alan. „Es wird wohl Zeit, dass ich meinen Haldol-Vorrat anbreche. Und behalte deine Griffel bei dir, verstanden?“
„Langsam regst du mich auf.“ Nico schien in Rage zu geraten. „Ich spinne mir nichts zusammen. Frag die Technik. Das Gerät hat gezeigt, wie er bis zum Grund getaucht ist. Was ist der Weltrekord ohne Hilfsmittel? Einhundertfünfzig Meter für ein menschliches Wesen, und das grenzt schon an eine Nahtoderfahrung.“
„Hast du es aufgezeichnet?“ Plötzlich nahm Alans Stimme einen verschwörerischen Ton an.
Christopher versuchte aufzustehen, doch alles, was sein Körper hergab, war ein mattes Winden. Alans warme Hand lag auf seiner Brust. Dieser Mann würde ihm nichts antun. Oder etwa doch?
„Ja“, nuschelte Nico. „Ein wenig habe ich aufzeichnen können.“
„Und wie ist es geworden?“
„Leider ziemlich diffus. Ergo untauglich als Beweis. Sie werden es für einen Kalmar halten, dessen Tentakel zufällig wie Arme und Beine aussehen.
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