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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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ihm in die Augen. Der Mann begann zu zittern, Gewimmer kam über seine Lippen. In dem Geruch, der ihm entströmte, gingen Angst und Erregung, Hilflosigkeit und Euphorie eine untrennbare Symbiose ein.
    „Ihr geht lächelnd in den Tod“, flüsterte er. „Ihr zappelt in unserem Netz und kommt darin um. Du hättest sie nie anfassen dürfen.“
    Er fühlte Nicos Seele, ein Energiefeld, ummantelt von Fleisch. Mit jedem Atemstoß entströmte dem Mund ein hauchfeiner Strom dieser Energie. Seine Lippen legten sich auf die des Mannes, begannen zu trinken, sogen das Licht in sich auf. Warm strömte es durch seinen Geist, durchtränkt von Erinnerungen, die er ebenso absorbierte wie die Kraft der aus dem Körperströmenden Seele. Nico zitterte. Während er das Licht trank, immer gieriger und fester, presste sich der Mann an ihn, umschlang mit den Armen seinen Nacken und gab sich dem Sog hin. Er spürte wachsende Lust. Süße Selbstaufgabe.
    Nicos hartes Glied presste sich gegen seinen Oberschenkel. Er sog weiter, trank das Licht, schluckte seine Wärme und sein Leben. Der Körper erschlaffte. Nach wie vor die Lippen fest auf Nicos Mund gepresst, sank er mit ihm zu Boden. Erst, als der letzte Tropfen Seele in ihn übergegangen war und nur noch Kälte übrig war, ließ er den Mann frei. Glasige Augen blickten zu ihm auf. Fassungslos. Entrückt. Und vollkommen leer.
    Christopher spürte kein Mitleid. Sein Körper glühte vor Wärme, doch seine Gefühle waren eingefroren. Nichts empfand er für den Mann, den er in eine lebende Leiche verwandelt hatte. Das Meer würde sein Opfer holen. Bald.
    Er ließ Nico zurück, ging in seine Kabine und fiel auf das Bett. Der Schlaf kam fast augenblicklich. Er war von traumloser Tiefe, und als er nach einer gefühlten Ewigkeit wieder erwachte, war erneut der Abend herangebrochen. Nach wie vor war er allein, doch neben ihm auf dem Nachtschrank lag ein Zettel.
    Ich liebe dich. Komm ins Labor, wenn du wach bist. Maya
.
    Christopher blickte an die Decke und fühlte sich, als wäre er in einem Kokon eingesponnen. Nein, viel eher war dieser menschliche Körper eine leere Hülle, längst verlassen, doch sein Verstand hatte es noch nicht vollends begriffen. Er fürchtete sich vor der endgültigen Verwandlung und war zugleich seltsam gelöst, weil ihm klar wurde, was zu tun war. Mayas Sorgen hatten sich in seine Seele eingebrannt. Allein er trug die Schuld an ihrem Leid, und indem er das Unvermeidliche hinauszögerte, würde er es nur vergrößern. Es gab für ihn keinen Platz in ihrer Welt, das hatte ihm der ungeheuerliche Akt des Seelenraubes deutlich vor Augen geführt. Sie würde neues Glück finden. Gemeinsam mit einem Menschen, der wie sie alterte und für immer an ihrer Seite blieb, ohne die Gefahr, jederzeit von einer unwiderstehlichen Macht von ihr fortgerissen zu werden oder ihr unabsichtlich das Leben auszusaugen.
    Er lauschte auf das träge Schlagen seines Herzens. Seine Sinne trübten sich, in demselben Maße, wie das Brennen in seinem Innersten stärker wurde. Zäh kroch dieses Feuer durch seine Nervenbahnen. Beißende Säure, die den letzten Rest Mensch-lichkeit auflöste und zersetzte. Alle Stärke, die er zuvor empfunden hatte, entpuppte sich als höhnische Illusion.
    Paralysiert lag er da. Eigentlich müsste er ab morgen früh vor den Bildschirmen sitzen und einen Roboter über den Meeresboden lenken, doch die Bewältigung dieser Aufgabe erschien ihm plötzlich unmöglich. Sein Herz begann, schneller zu schlagen. Es war so weit. Es geschah hier und jetzt, und selbst wenn er etwas dagegen hätte tun wollen, wäre er nicht einmal annähernd stark genug gewesen.
    Instinktiv wusste er, dass es Zeit wurde, hinauszugehen. Kaum vollführte er den ersten Schritt, begann ein wilder Schmerz in ihm zu toben. Vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen. Die Qual war derart heftig, dass sie den Schleier der Benommenheit von seiner Wahrnehmung riss. Er erreichte das leere Deck, klammerte sich an der Reling fest und sah in einen bleichen, von Wolkenschleiern verhüllten Abendhimmel hinaus. Der Schmerz erreichte die Grenze des Erträglichen und schoss darüber hinaus.
    Mit einem erstickten Schrei krümmte er sich zusammen. Messer bohrten sich in seine Beine, wieder und wieder, gepaart mit dem Gefühl, als verätzte jeder Nerv in weiß brennender Glut.
    Da war das Spiel der Wellen, versprach Erlösung. Sanftes, kühles Wasser. Er hielt es nicht mehr aus. Er musste gehen.
    In seine Welt.
    Die Knie gaben unter

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