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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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ihm nach, doch er schaffte es irgendwie, sich aufrecht zu halten. Seine Hände umklammerten so fest das Geländer, dass die Knöchel fast durch die Haut stachen. Ein kurzer, jeden Muskel erfassender Krampf, dann endete der Schmerz und ließ nur noch Verlangen zurück. Seine Lungen versagten ihren Dienst. Sie schrien nach salzigem Wasser.
    „Alles okay?“, fragte jemand hinter ihm.
    Ohne sich umzudrehen, starrte er auf die Wellen, kämpfend um jeden Atemzug. „Es geht schon wieder.“
    „Soll ich Alan holen?“, fragte die Stimme. „Oder Maya?“
    „Nein.“ Die Namen waren ein Messer in seinem Herzen. „Nein, es geht schon wieder. Ich muss nur allein sein.“
    „Okay.“
    Wer auch immer hinter ihm stand, er entfernte sich. Christopher wartete, bis er allein war, riss sich das T-Shirt vom Leib, kletterte über die Reling und sprang. Das Wasser umschloss ihn. Es durchströmte ihn und füllte seinen ausgehungerten Körper. Die Erleichterung war so unbeschreiblich erlösend, dass ihm war, als hätte sein Leben zuvor nur aus Schmerz bestanden. Hastig befreite er sich von den restlichen Kleidern. Die Jeans, die Schuhe, die Shorts. Alles verschwand taumelnd in der Tiefe.
    Als die Schiffsschraube bedrohlich nahe kam und weiße Gischtstrudel aufwirbelte, brachte er sich mit einigen schnellen Schwimmzügen außer Reichweite der Rotorblätter und tauchte in sicherer Entfernung wieder auf.
    Der metallene Koloss zog schnell an ihm vorüber. Erst als seine Silhouette in der Ferne verschwand, begriff er das Geschehen in seinem gesamten Ausmaß. Er war im Wasser, während die Menschen, die er liebte, zusammen mit dem Schiff verschwanden.
    Es war geschehen. Er hatte sie verloren. Für immer.
    Vor ihm lag die Freiheit des Ozeans. Eines leeren, endlosen Ozeans. Als spürte das Meer seine Trauer, brachte es ihm eine Strömung, die ihn erfasste und mit sich nahm.
    Zuhause. Du bist Zuhause
.
    Der Himmel über ihm sah aus wie Perlmutt. Eine elfenbeinbleiche Sonne schwebte über dem Horizont. Und dann geschah etwas. Ein neuer Schmerz brach auf, so brachial, als zermalmte etwas die Knochen in seinen Beinen zu Brei. Dieser flüchtigen Qual folgte ein ziehendes Gefühl. Es war, als würden zwei Beine zu einem verschmelzen, und als er untertauchteund an sich hinabsah, wurde ihm klar, dass genau das der Fall war. Dort, wo das Fleisch zusammenwuchs, nahm seine Haut eine silberhelle Farbe an und veränderte ihre Struktur. Sie ähnelte glatter Wildseide, hier und da geschmückt von glänzenden, weißen Schuppen. Eine Flosse entfaltete sich dort, wo seine Füße hätten sein sollen, groß, fächerartig und gemustert mit leuchtenden Sprenkeln. Dann veränderte sich auch der Rest seines Körpers – die Hälfte, die menschlich geblieben war. Auch hier wurde die Haut heller und glatter. Seine Finger wurden länger, Schwimmhäute wuchsen. Etwas, das silbernen, knöchernen Schuppen glich, wuchs in Reih und Glied entlang seiner Unterarme, und auf eine Weise veränderte sich auch sein Gesicht. Er tastete danach, konnte jedoch nicht erkennen, wie prägnant diese Veränderungen waren.
    All das tat nicht weh und war schrecklich und herrlich zugleich. Es zeigte ihm, dass seine alte Heimat für ihn verloren war. Und damit auch Jeanne und Maya. Es bewies ihm aber auch, wohin er wirklich gehörte.
    Aus dem Blau der Tiefe tauchten die Wale auf. Sie umringten ihn, sangen für ihn und weckten ein Gefühl bitteren Glücks. Ihre Emotionen übertrugen sich auf ihn. Erinnerungen lagen im Wasser, gespeichert über Jahrmillionen seit dem Anbeginn des Lebens. Selbst aus der wilden, leeren Zeit davor, als nur Feuer und Wasser die Welt regiert hatte.
    Er berührte die Haut des Tieres, das ihm am nächsten war, streichelte sie, befühlte Beulen aus Seepocken und aufgewölbte Narben. Das Singen der Tiere vermittelte ihm das Gefühl, zu Hause zu sein. Wirklich zu Hause zu sein. Und als ihn eine einzige Bewegung seines neuen Körpers in die Tiefe hinabtrug, als das Meer ihn erneut durchströmte, diesmal um so vieles endgültiger, erfasste ihn das Gefühl grenzenloser Freiheit. Ein Gefühl, das ihm die Erinnerungen an alles nahm, was hinter ihm lag. Eine nach der anderen, zunächst verschleiernd, dann auslöschend, bis nur noch Glück übrig blieb.
    Die Erinnerung kehrte auch dann nicht zurück, als er nach einiger Zeit in der Tiefe wieder die Oberfläche durchstieß, sich auf den Rücken legte und die Sterne betrachtete. Zischende Blasfontänen schossen neben ihm in den

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