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Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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Himmel hinauf. Von den Wellen auf und ab gewiegt, streckte er die Arme aus und sah an sich hinab. Die Schönheit seiner neuen Gestalt war überwältigend. Eine große, kräftige Schwanzflosse spielte mit dem Wasser und reflektierte das Mondlicht. Herrliche Muster glommen auf seiner Haut. Dieser Körper war vollkommen. Alles war so, wie es sein sollte. Er ließ sich treiben und dachte an nichts. Es gab nur noch ihn und einen gewaltigen Ozean, in dessen Tiefe seinesgleichen auf ihn wartete.

    Normalerweise summte Maya, wenn sie wie jetzt Proben filterte, siebte und beschriftete, irgendwelche Lieder vor sich hin. Doch diesmal schwieg sie. Sie aß einen Apfel, warf die Überreste in den Mülleimer und stieß sich mit den Füßen ab, sodass ihr Drehhocker Richtung Mikroskop rollte.
    Drei winzige Ruderfußkrebs-Nauplien schwammen durch gleißendes Licht. Hektisch strampelten ihre Füßchen, während sie, eingesperrt zwischen zwei Glasflächen, ihre Runden drehten. Ahnten diese hilflosen Wesen etwas von der Ausweglosigkeit ihres Schicksals? Erging es ihr vielleicht wie diesen Tieren?
    Christopher entwickelte sich zu etwas Unkontrollierbarem, diese Tatsache musste sie sich eingestehen. Er hatte etwas mit Nico angestellt. Ihm alles Leben ausgesaugt, sodass er nun durch die Gegend taumelte wie ein hirnamputierter Zombie. Sie fürchtete sich. Vor dem Mann, den sie liebte, vor sich selbst und vor dem, was sie erwartete. Während er in seiner Kabine schlief, bereitete eine Handvoll Studenten samt einem Wissenschaftler den Roboter für ihre Mission vor, und falls sie etwas fanden, würde sich die ganze Sache noch weiter zuspitzen. Was sollte sie tun? Ihn und Jeanne im nächsten Hafen zurückschicken? Sie bezweifelte, dass Christopher von seinem Plan abzubringen war. Zumal sie in wenigen Tagen den Tiefseegraben erreichen würden.
    „Verzeihung“, sprach sie jemand von hinten an. „Darf ich dich kurz stören?“
    „Darfst du.“ Zitternd wischte sie ihre Finger am Kittel ab. Wenigstens besaß sie inzwischen genug Contenance, um ihre Tränen zu unterdrücken. „Was gibt’s?“
    „Es geht um Dr. Jacobsen. Ich meine, um Chris.“ Der Student kratzte sich unschlüssig am Kopf. „Er ist oben auf dem Deck beim Kran. Sieht so aus, als ginge es ihm nicht gut. Vielleicht siehst du mal nach ihm?“
    Sie sprang auf und stürzte nach draußen. Auf der Treppe nahm sie drei Stufen auf einmal, schwenkte nach rechts und rannte zum Heck des Schiffes, dorthin, wo sich der Kran wie ein monströses Skelett vor dem dunkelblauen Abendhimmel abzeichnete.
    Er war nicht mehr hier. Das Herz hämmerte ihr bis zum Hals.
    „Nein, nein, nein … großer Geist, bitte nicht.“
    Als sie das T-Shirt fand, das vor der Reling lag, wurde ihr schwindelig vor Entsetzen. Ihre Finger betasteten das Orca-Emblem, unter dem Christophers Name aufgedruckt war, als müsste sie ihren Verstand überzeugen, dass sie ihn wirklich in der Hand hielt – den Beweis, dass er hier war. Sie schwankte am Kran vorbei, hastete die Stahltreppe hinauf und platzte ohne Vorwarnung in den Technikraum. Die Studenten saßen vor den Bildschirmen und blickten ihr mit aufgeklappten Kiefern entgegen.
    „Ich hä-hä-hätte schwören kö-kö-können …“, stammelte Susan. „Ich glaube, wir haben … aber Sie werden uns für verrückt halten.“
    Maya schloss die Augen und atmete. Ein und aus. Ein und aus. „Reden Sie klarer.“
    „Die Wale sind verschwunden“, wisperte Susans schlohweißer Sitznachbar. „Etwas war plötzlich bei ihnen. Es kam hier von diesem Schiff. Und dann …“
    „Etwas?“ Ihr Gleichgewichtssinn kränkelte.
    „Eine … es sah aus wie … wir wollten es aufnehmen, aber man hat uns nicht gesagt, wie das funktioniert.“
    „Schluss.“ Maya vollführte eine wütende Handbewegung. „Verschwindet. Macht euch vom Acker. Ich übernehme den Rest der Schicht.“
    „Aber …“
    „Verschwindet!“
    Die Studenten sprangen auf und gaben Fersengeld. Als sie verschwunden waren, kehrte Maya an die Reling zurück. Er war fort. Er war gegangen. Das, wovor sie sich Tag und Nacht gefürchtet hatte, war geschehen. Und obwohl es sie nicht überraschte, war der Schock von lähmender Heftigkeit. „Vergiss mich nicht“, flüsterte sie, ihre Finger um das Eisen klammernd. „Bitte. Ich brauche dich.“ Das Meer war ihr noch nie so endlos und grausam erschienen. Es war ein Spiegelbild ihrer Seele, denn in ihr gähnte eine ebensolche Leere. Endlosigkeit ohne jeden Haltepunkt.
    „Was

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