Meeresblau
ihr. Ein einziges Versprechen.
Wer kann es mit dir aufnehmen, unergründliche See …
Ausgerechnet jetzt gingen ihr die Worte eines Gedichtes von Percy Bysshe Shelley durch den Kopf. Hitze pochte in ihrem Unterleib.
Unergründliche See. Ozean der Zeit, der du die Grenzen der Sterblichkeit umfasst
.
Ihr schwindelte. Sie versank. Tief hinein in diese Augen. In das Meer. Die Musik erinnerte jetzt an Walgesänge. Sie schienenüberall zu sein und ließen den letzten Rest Realität verschwimmen.
Das Blau, dessen Wellen Jahre bedeuteten. Verräterisch in der Ruhe, schrecklich im Sturm …
Christopher holte tief Luft. Sie sah ihn wie in Zeitlupe blinzeln. Jede Geste, die er vollführte, war sinnlich. Wohlige Schauder durchliefen in Wellen ihren Körper, konzentrierten sich in ihrem Unterleib, stiegen ihr zu Kopf und ließen ihre Haut glühen. Erst, als sich seine Lider senkten und dichte, schwarze Wimpern das Blau seiner Augen versteckten, kam sie wieder zu Atem.
Nichts hatte sie dem Sog entgegensetzen können. Sie spürte den Druck seiner Lippen und nahm ihren Geschmack wahr, obwohl er sie nicht berührt hatte. Sie spürte seine Hände auf ihrem Körper, den süßen Druck der Vereinigung zwischen ihren Schenkeln und die Atemstöße auf ihrer vor Erregung überempfindlich gewordenen Haut. Ihre Sinne hüllten sich in einen Schleier. Sie redete mit Christopher und Jeanne, wusste jedoch im Nachhinein kaum mehr, um was sich ihre Gespräche gedreht hatten.
Nach dem Kaffee packten sie die Geschenke aus, setzten sich zum Abschluss in die urige Küche vor den Kamin und tranken noch mehr Kaffee. Ihre Ungeduld wuchs, bis sie glaubte, es keine Sekunde länger zu ertragen. Als er sie endlich bei der Hand nahm, hätte sie am liebsten aufgestöhnt vor Erleichterung. Er zog sie mit sich, während Jeanne behauptete, todmüde zu sein und ins Bett gehen zu wollen. Doch das gequälte Lächeln des Mädchens entging ihr nicht. Trug sie die Schuld daran? Hieß Jeanne ihr Verhältnis zu Christopher nicht gut?
Sie wollte nicht darüber nachdenken. Nicht jetzt, wo ihr Körper danach schrie, endlich Erlösung zu finden. Gemeinsam erklommen sie eine Wendeltreppe, die in das Dachgeschoss führte.
„Möchtest du bei mir schlafen?“ Galant öffnete er die Tür zu seinem Zimmer und bat sie hinein. „Ganz unverbindlich natürlich.“
Sie lachte und biss sich auf die Zunge, um das zarte Kartenhaus ihrer Beherrschung nicht zu schnell in sich zusammenbrechen zu lassen. Das Zimmer war warm und gemütlich. Durch das bodentiefe Fenster sah man die grasbewachsenen Hänge, ein paar Häuser des Dorfes und das Meer. Gespenstisch leuchteten die Schaumkronen der Wellen in der Finsternis. Vor dem Fenster lag eine Decke aus Fellimitat, flankiert von ein paar schwarzen Kissen. Im Schneidersitz nahm sie darauf Platz und lehnte sich mit der Schulter gegen das Glas. Alle Anspannung, die über die Jahre mit ihr verwachsen war, fiel Schicht für Schicht ab und ließ etwas Befreites, Gelöstes zurück.
Als Christopher sich neben sie setzte, war sie versucht, kurzerhand über ihn herzufallen und ihm diese lästigen Kleider vom Leib zu reißen. Doch sie hielt sich zurück, malte die Bilder lediglich in Gedanken. Ob er wusste, wie er aussah? Männliche Reinheit vermischte sich mit verruchter Sinnlichkeit. Wie geschaffen war er dafür, Menschenseelen in einen verführerischen Tod zu locken. Ein paar schwarzblaue Locken hatten sich aus dem Zopf gelöst und fielen ihm ins Gesicht, verführten dazu, sie zärtlich fortzustreichen. Maya erwiderte seinen Blick so lange, wie sie es ertrug. Auf eine merkwürdige Art hatte sie das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen. Sie sah in ihm dieselben Gefühle, dieselben Hoffnungen, Sehnsüchte und Ängste, die auch ihre Seele füllten. Aber was sie sah, war nur die Oberfläche eines mythischen Ozeans.
Er legte eine Hand auf ihr Knie. Sie erwiderte die Berührung, indem sie seine Finger mit den ihren umschloss. Als wären sie füreinander geschaffen, schmiegten sich ihre Hände aneinander. Kühl fühlte sich seine Haut an. Ihre Fingerspitzen ertasteten die Beschaffenheit, erforschten sie zaghaft und wanderten über das Handgelenk, bis die Manschette begann. Kein Härchen war auf seiner Haut auszumachen. Sie war makellos glatt, angepasst an ein Leben unter Wasser. Sein Lächeln wertete sie als Aufforderung zu einem Spiel, bei dem noch nicht klar war, wer Sieger und Besiegter sein würde.
Das Gefühl, sein Blick würde ihre Seele
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