Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meeresblau

Meeresblau

Titel: Meeresblau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
Vom Netzwerk:
seiner wildesten, reinsten Form umringte ihn. Ein Wirbelsturm aus Jägern und Opfern. Furchtlos tauchte er ab, tiefer und tiefer, bis an die Grenze des Lichts. Selbst, als Schwärze ihn umhüllte und der Druck seinen Körper zusammenpresste, lag noch immer ein unermesslicher Abgrund unter ihm. Bald wurde ihm diese Finsternis zu gespenstisch, also kehrte er wieder in lichteres Wasser zurück.
    Schwerelos glitt er mit den Strömungen dahin, bis vor ihm eine Sandbank auftauchte, umgeben von flachem, türkisfarbenem Wasser. Die Meerjungfrau war bereits dort. Sie wartete auf ihn, als wäre ihr klar gewesen, dass er kommen würde. Sonne streichelte ihre Haut und ließ den puderzuckerfeinen Sand leuchten. Sie lächelte, als er sich neben sie legte und den Kopf auf seine verschränkten Arme bettete. Ihr menschenähnlicher Leib ging wie der seine ab der Taille in den eines Fisches über, verjüngte sich anmutig und endete in einer großen Flosse, die mit den Wellen spielte. Auch ihre Haut war überzogen von einem fluoreszierenden Muster aus Streifen und glimmenden Sprenkeln. Diese komplizierten Verzierungen wiederholten sich auf der menschlichen Haut, doch verschwanden sie dort manchmal, je nachdem, wie das Licht darauf fiel. Eine lange, spitz gezackte Flosse wuchs entlang ihrer Rückenlinie und stellte sich auf, während er sie betrachtete.
    Ungläubig sog er die Erscheinung dieses Wesen in sich auf, versunken in zahllosen Details. Ab der Taille glichen sie einander, als wären sie Zwillinge, und so bewunderte er zugleich sich selbst und das, was ihm geschenkt worden war. Träge plätscherte das Wasser unter einem Flossenschlag. Ewig hätte er so daliegen können, auf dieser Sandbank inmitten eines tropischenMeeres. Endlich geborgen in seiner wahren Gestalt.
    Wohl des Müßiggangs überdrüssig, ließ sich die Meerjungfrau ins Wasser zurückgleiten und zog ihn mit sich. Spielerisch durchmaßen sie die See, streiften den sandigen, von Rillen durchzogenen Grund und freuten sich am Leben. Das Wasser war so klar, dass es aussah, als gäbe es gar keines. Kein Fels oder Stein störte in dieser Welt aus weißem Meeressand. Ausgelassen tollten sie umher, sprangen wie Tänzer aus dem Wasser, drehten sich in der Luft und ließen sich wieder zurückfallen, glitzernde Tropfen versprühend.
    Sie neckten einander, jagten umher und spielten wie Kinder. An der Oberfläche bespritzten sie sich mit Wasserfontänen oder fingen den einen oder anderen Fisch, der, sobald er in ihren Händen lag, wie leblos erstarrte.
    Nach einer Weile beendete die Meerjungfrau das Spiel und strebte hinaus in die offene See. Die Kraft seines neuen Körpers berauschte ihn. Selbst als der Abend dämmerte und die Nacht hereinbrach, verspürte er nicht den Anflug von Erschöpfung. Sie durchmaßen eine Welt aus Blau, die unendlich schien. Und schöner, als er es sich je hätte vorstellen können.
    Bis sich Dunkelheit um ihre Körper schloss.
    Man konnte nichts sehen, nur spüren. Feine Stränge, die sich um die Arme legten, um den Hals und den Fischleib. Er spürte die Angst seiner Gefährtin und wollte ihr helfen, doch das unsichtbare Netz zog sich immer fester um ihn zusammen. Immer enger, je mehr er sich wehrte. Euphorie verwandelte sich in Verzweiflung. Hilferufe hallten durch das Meer, wurden weit hinausgetragen und von vielen Wesen gehört. Delfine kamen, Meeresschildkröten, Haie und schwarze Pilotwale, doch keine Zähne vermochten es, das Netz zu zerbeißen. Ein Tier nach dem anderen wurde gefangen, eingewickelt und erstickt von zarten Schnüren, die das Meer wie eine Mauer des Todes durchzogen.
    Selbst die Orcas entkamen diesem Schicksal nicht. Immer mehr tote Körper trieben im Wasser. Immer mehr Tiere kamen hinzu, hörten ihre Warnungen nicht, schwammen ahnungslos in ihr Verderben, weil sie ihnen helfen wollten. Die Qual war unbeschreiblich. Zu viel Tod, zu viel Schmerz im Wasser. Schrilles Kreischen erfüllte das Meer, das nicht von einem Tier stammte, sondern von Kränen und Winden. Das gewaltige Netz bewegte sich hin zu einem Schatten, der wie ein Monstrum auf den nächtlichen Wellen schwamm. Ein lebloser Körper nach dem anderen wurde hinaufgezogen. All die Fische, Schildkröten und Wale. Bald würde man auch sie sehen. Er wünschte sich, zu sterben. Der Tod war besser als das, was jenseits des Wassers auf sie wartete.
    Die neu gewonnene Freiheit … verloren.
    Das endlose Blau. Bald nur noch eine blasse Erinnerung.

    „Alles in Ordnung?“
    Etwas

Weitere Kostenlose Bücher