Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
Vom Netzwerk:
so begeistert. Da war er mit einem Mal wieder ihr Adrian gewesen, wie sie ihn kannte, wie sie ihn leidenschaftlich liebte und er sie. Sie hatten miteinander geflüstert, und sie hatte sich mit geschlossenen Augen diesem Gefühl hingegeben, das war wie einst das Meer. Ihre zweite Natur, ihre Haut. Jetzt war auch dieses Gefühl einer großen Kälte gewichen. Und die Nixe fühlte sich verletzt und roh, als hätte man sie gehäutet.
    Warum nur? Warum? Gab es eine Antwort? Oder gab es nur diesen riesigen Fehler, den sie gemacht hatte? Denn ein Fehler war es wohl gewesen. Sonst säße sie nicht hier, in diesem Kessel ohne Ausweg und ohne einen Ort, an den sie gehen konnte und an den sie gehörte. Sie war selber schuld. Reue mischte sich in ihre Verzweiflung und tat doppelt weh. Zu spät, zu spät. Dann wieder tasteten ihre Gedanken nach Adrian, hofften, etwas von ihm zu empfangen, so wie früher, und wäre es nur wie ein Schrei oder ein rauer Windstoß. Aber sie spürte: nichts.
    «Ondra!»
    Es dauerte eine Weile, bis die Nixe begriff.
    «Ondra! Hier!»
    Die Stimme sprach nicht in ihrem Kopf zu ihr. Sie kam von draußen, vom Meer. Wenn Ondra lange genug hinsah, dann erkannte sie an der mondfunkelnden Wasseroberfläche einen dunklen Umriss, der kein Felsen war, auch wenn er sich nicht bewegte. Da, jetzt löste sich ein schlanker Schatten. Ein Arm erhob sich, schwarz und unwirklich, und winkte. Oder war es nur der Schatten in einem Wellental, ein Vogelflug?
    «Ondra, komm her.»
    Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. «Ich kann nicht.»
    «Doch, du kannst.» Die Stimme wurde lauter, vertrauter.
    «Aura? Was tust du hier? Aura, geh weg. Das ist gefährlich. Wenn sie dich entdecken, wenn sie dich sehen.» Ängstlich sprang Ondra auf.
    Ihre Freundin kam ein Stück näher ans Ufer geschwommen. Ondra konnte beinahe ihr Gesicht und die Fülle ihres Haares erkennen, das sie in einem armdicken Zopf um den Kopf gewunden trug. Zwanzig Meter vom Ufer entfernt verharrte sie; weiter wagte sie sich nicht heran. Auch sie hatte Angst.
    Es gibt nur uns und sie, dachte Ondra, nichts dazwischen, keinen Kontakt. Wer das Gebot bricht, muss sterben. So wie viele gestorben waren. Vielleicht sogar ihr Onkel. Etwas wie Wut glomm in Ondra auf und verdrängte die Angst.
    «Du musst gehen», sagte sie zu Aura. «Sie werden dich töten. Vater schickt den Strudel. Du weißt das.»
    «Ondra, hör mir zu, es gibt einen Weg zurück. Ich kann dir helfen.»
    «Nein!» Ondra schüttelte den Kopf. «Niemand kann mir helfen.»
    «Doch, es gibt einen Weg», wiederholte Aura. Ihre Stimme klang flehend. «Wenn du mir nur zuhören willst, Süße.»
    Der Kosename schnitt Ondra ins Herz. Sie wusste, ihre Freundin, ihre frivole, leichtherzige Freundin wagte viel für sie.
    «Ich könnte es nicht ertragen», sagte sie, «wenn auch dir noch etwas geschähe.»
    «Aber Ondra.» Aura war den Tränen nahe.
    «Geh, sag ich, geh zurück. Wenn du etwas für mich tun willst, dann frag Vater, wie sein Bruder wirklich starb. Und die Menschen an seiner Seite. Sag ihm, ich stoße überall auf Leid, das er verursacht hat. Und sag ihm, dass ich hierbleibe.»
    «Ondra, nicht, tu das nicht.»
    Ondra hielt sich die Ohren zu. Heftig schüttelte sie den Kopf. Die Stimme war nicht in ihr drinnen, sie war nur eine Schallwelle. Sie konnte sie aussperren, sie konnte sie fern von sich halten. «Nein», rief sie. «Nein, geh weg, geh doch endlich.»
    Auch Aura war verzweifelt. «Aber es gibt einen Weg.»
    «Dann sag mir, dass dieser Weg nicht blutig ist.» Ondra hatte geschrien.
    Erschrocken verstummten sie beide für einen Moment. Der Kauz rief. Irgendwo im Wasser sprang ein Fisch. Das Platschen ließ sie beide herumfahren. Und obwohl das Band zerrissen war, konnte Ondra Auras panischen Herzschlag beinahe spüren.
    «Siehst du», sagte sie leise. «Und jetzt leb wohl.»
    «Ondra!» Leise und klagend klang Auras Ruf nach der Freundin über das Wasser. «Ondra!»
    Ondra wandte sich ab und ging ins Haus, ohne sich noch einmal umzudrehen. Es war zu spät.

[zur Inhaltsübersicht]
30. Kapitel
    Im Siren’s Pub herrschte beinahe so etwas wie Feststimmung. Als Adrian und Maud ankamen, Arm in Arm, darauf hatte sie diesmal bestanden – das heißt, sie hatte sich bei ihm eingehängt, nachdem er sie von zu Hause abgeholt hatte, und seinen Arm seither nicht mehr losgelassen –, wurden sie an einen reservierten Tisch mit Tischdecke geführt und begrüßt wie Ehrengäste. Sogar ein Blumenstrauß stand

Weitere Kostenlose Bücher