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Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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Tourette-Syndrom, von dessen Symptomen Sie allerdings nicht die leiseste Ahnung haben!«
    Ein empörtes Raunen ging durch die Menge. Jerome fiel vor Schreck fast die Gitarre vom Schoß und dem einen oder anderen Trauergast entglitt die Kontrolle über seine Gesichtszüge. Doch ehe irgendjemand etwas sagen konnte, machte Ruby bereits wei ter.
    »Und Ashton hat auch nicht darunter gelitten«, brüllte sie all jenen, die es garantiert nicht hören wollten, entgegen. »Im Gegenteil: Er hatte sich sogar damit angefreundet. Oder um es mit Ihren Worten zu sagen …«, jetzt wandte sie sich wieder dem Geistlichen zu. »Er hatte das Schicksal, das Gott ihm auferlegt hatte, angenommen.« Ruby drehte sich langsam weiter, hob ihren Arm und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf Raymond Clifford. »Der da … Sein Vater hat ihn alleingelassen. Er hat sich keine Sorgen um Ashtons Zukunft gemacht, sondern sich für ihn geschämt.« Nacheinander nahm sie ihre Freunde, Ashtons Famili enangehörigen und die anderen Anwesenden ins Visier. »Ihr alle habt euch für ihn geschämt.«
    Ihre letzten Worte schienen einen Moment über der Gesell schaft zu hängen, bevor der Wind sie fort in Richtung Hafen hi nunterwehte. Für ein paar Sekunden war es totenstill auf dem Friedhof. Es kam mir so vor, als hätten sogar die Vögel zu zwit schern aufgehört.
    Cyril tastete nach meiner Hand und drückte sie. Wir sahen uns an.
    Seine schwarzen Augen glänzten vor Stolz. Ich nickte, denn ich war es auch. Stolz auf Ruby. Sie war so mutig … so authentisch, so sehr sie selbst, dass ich sie fast ein wenig darum beneidete.
    Inzwischen war sie vor Ashtons Sarg in die Knie gegangen und streichelte zärtlich über das helle Holz.
    »Für mich warst du der wundervollste Mensch unter der Sonne«, sagte sie. »Und ich werde dich für immer in meinem Herzen tragen.«

    Es war ein Rascheln irgendwo hinter mir, das mich aufmerken ließ. Ich wandte den Kopf und registrierte eine Bewegung hinter einem violett blühenden Rhododendronstrauch, der den Fried hof an dieser Stelle zur Straße hin abschirmte.
    Keine Ahnung, wieso, denn eigentlich gab es keinen Grund, aber irgendetwas in mir geriet in Alarmbereitschaft. Vielleicht war es mein Haiinstinkt, vielleicht auch das nahezu unmerkliche Zischeln, das für den Bruchteil einer Sekunde meine Gedanken streifte. Ein Reflex ließ mich vollständig herumfahren, und da sah ich ihn – Kyan, wie er gerade über den Zaun hinter dem Rhodo dendron auf die Straße klettern wollte.
    Cyril!, rief ich noch, dann stürzte ich los.
    Ich wusste, ich war schneller als Kyan und sehr viel stärker, ich würde ihn mühelos besiegen können, aber alles, was ich denken konnte, war: Gordy! Gordy! Gordy! Dort, wo Kyan war, musste auch er sein. Hoffentlich. Hoffentlich. Hoffentlich.
    Meine Füße flogen über das Gras, meine Hände drückten die Zweige des Strauches auseinander, meine Finger umklammerten das kühle Eisen des Zauns und mit dem nächsten Atemzug lande te ich auf dem Bürgersteig.
    Zu meiner Verwunderung rannte Kyan die sanft gewundene Straße zum Victoria Tower hinauf, anstatt sich – was ich weitaus naheliegender gefunden hätte – dem Hafen zuzuwenden.
    Bleib stehen!, brüllte ich ihm hinterher. Ich will mit dir reden!
    Kyan beschleunigte seine Schritte.
    Verdammt noch mal, ich krieg dich sowieso!
    Ich wollte gerade das Tempo anziehen, da traten vor mir zwei ältere Herrschaften aus einem Hauseingang, und ich war gezwun gen, vorerst mit normaler Geschwindigkeit weiterzulaufen. Unter dessen tauchte Kyan hinter einer Kurve ab.
    Fluchend wartete ich, bis die beiden alten Damen außer Sicht weite waren, dann schoss ich los und rannte in Riesenschritten Richtung Turm. Und da hatte ich ihn wieder. Kyan trug eine brau ne Lederhose und ein dunkles Shirt. Barfuß und mit wehenden schwarzen Haaren raste er über das Pflaster, direkt auf das grobe graubraune Mauerwerk des Towers zu – und verschwand!
    Keuchend und im buchstäblich letzten Moment kam ich zum Stehen, sonst wäre ich mit voller Wucht gegen die Wand geknallt. Ungläubig starrte ich dagegen. Und plötzlich begriff ich: Kyan musste ein Chamäleon-Nix sein! – Seltsam nur, dass er die Fähig keit, mit seiner Umgebung zu verschmelzen, bisher nicht genutzt hatte.
    Vielleicht wollte er sie vor den anderen verbergen , mutmaßte Cyril, der nun ebenfalls nach Atem ringend hinter mir stand.
    Oder er hat dieses Talent erst jetzt, womöglich gerade in diesem Augenblick, an sich

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