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Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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umhersegelnden Möwe stockte mir der Atem, weil ich ihn im ersten Moment für Gordy hielt. Ich glaubte bereits, seinen Duft zu riechen und seine zärtlichen Hände auf meiner Haut zu spü ren, und konnte es kaum erwarten, ihn endlich wieder in meine Arme zu schließen. Die Sehnsucht nach ihm brachte mein Herz fast zum Zerspringen, doch ich gebot mir, vernünftig zu sein.
    Bitte, bleib dort unten im Meer, flehte ich. Niemand darf dich sehen. Wenn du zu mir heraufkommst und irgendjemand bemerkt, dass du keinen Schatten wirfst, ist es aus. Hörst du, Gordy …? Ich werde zu dir kommen, sobald die Abenddämmerung einsetzt. Ich werde ins Meer tauchen und nach dir … und Zak Ausschau halten.
    Ich schloss die Augen und lauschte in mich hinein, doch so sehr ich mich auch konzentrierte, ich erhielt keine Antwort von ihm.

    Mittags ging ich in den Garten hinunter. Obwohl ich keinen Hun ger hatte, aß ich so viel von den »Kleinigkeiten«, die Tante Grace auf der Veranda aufgetischt hatte, dass sie nicht misstrauisch wur de, und half ihr danach beim Umsetzen einiger Blumenstauden.
    Am Nachmittag telefonierte ich mit Ruby und versuchte ihr schonend klarzumachen, dass sie heute nicht bei mir übernachten könne, falls sie es vorgehabt habe.
    »Macht nichts«, erklärte sie überraschend munter. »Ich fahre nachher nach St Peter Port. Cyril hat mich zum Essen eingeladen.«
    »Oh«, sagte ich.
    »Es ist nicht so, wie du denkst.«
    Natürlich nicht!
    »Ich denke ja gar nicht«, gab ich zurück. »Ich freue mich ein fach, dass ihr euch mittlerweile so gut versteht.«
    »Ich kann mit ihm über Ashton reden.« Es klang ein wenig nach Rechtfertigung. »Cyril hat eine unglaubliche Beobachtungs gabe. Ihm sind Dinge an Ashton aufgefallen, die ich so nie wahr genommen habe.«
    »Hmm«, machte ich. In letzter Sekunde verkniff ich mir die Be merkung, dass sie das doch bitte nicht überstrapazieren solle. Den Anflug von Mitleid, der sich bei mir einzuschleichen versuchte, wischte ich erfolgreich beiseite. Cyril bekam, was er verdiente. Da von abgesehen wusste er, was er tat. Ich musste nun wirklich nicht für ihn in die Bresche springen. Er hatte es für mich ja auch nicht getan.
    »Na, dann wünsche ich euch einen schönen Abend«, bekam ich gerade noch über die Lippen.
    »Ja«, sagte Ruby nur, und nach einem Zögern erkundigte sie sich schließlich, was ich denn vorhätte, dass ich sie nicht dabei haben wolle.
    Eine Sekunde dachte ich darüber nach, ob ich ihr von Aimee erzählen oder sie fragen sollte, ob sie etwas von dem Interview mit Javen Spinx mitbekommen hätte, doch dann sagte ich bloß: »Ich möchte nur ein bisschen allein sein.«
    Allerdings wäre Ruby nicht Ruby gewesen, wenn sie mir das so einfach abgenommen hätte.
    »Heute ist Neumond«, entgegnete sie bedeutungsvoll.
    »Ja.«
    Ein paar Sekunden lang hörte ich sie nur atmen.
    »Heißt das, du gehst ins Meer?«, fragte sie leise.
    »Auf jeden Fall werde ich es im Auge behalten.«
    »Sei bitte vorsichtig«, sagte Ruby.
    »Und du erzähl Cyril nichts davon«, erwiderte ich.
    »Okay. Versprochen.«
    Ruby zog geräuschvoll Luft ein. Es musste ihr verdammt schwer fallen, mir dieses Zugeständnis zu machen, aber ich wusste, ich konnte mich auf sie verlassen.
    Bis zum Abend kletterten die Temperaturen auf über fünfund zwanzig Grad. Ein leichter Wind kam auf und vertrieb die letzten Wolkenschlieren. Auch um kurz nach neun war die Luft noch immer angenehm frisch und wunderbar klar. Die goldgelbe Sonne stand im Westen eine gute Handbreit über dem Horizont und ließ sich für meinen Geschmack viel zu viel Zeit mit dem Unter gehen.
    Ich saß mit einem Historien-Schinken aus Tante Graces Regal auf der Verandabank, konnte mich allerdings nicht so recht auf den ziemlich schwülstigen Text konzentrieren. Eigentlich sollte das Buch mich ohnehin nicht unterhalten oder ablenken, son dern hatte eher eine Art Alibifunktion. Da Tante Grace am Nach mittag angekündigt hatte, abends noch zu einer Bekannten nach Albecq fahren zu wollen, war es mir wichtig, einen entspannten Eindruck auf sie zu machen, damit sie es sich nicht noch einmal anders überlegte. Von der Geschichte mit Aimee hatte sie näm lich tatsächlich nichts mitbekommen, weil sie zu der Zeit hoch konzentriert an der Nähmaschine saß.
    Mittlerweile ging es auf halb zehn zu und meine Großtante war immer noch da.
    Seufzend klappte ich das Buch zu und lugte – inzwischen wohl schon zum zwanzigsten Mal – um die Ecke zum

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