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Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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leid.
    »Ach, Aimee«, sagte ich leise und strich ihr flüchtig über die Wange. »Du kennst ihn doch überhaupt nicht.«
    »Das brauche ich auch nicht«, entgegnete sie beinahe trotzig. »Ich liebe ihn einfach. Aber das kannst du wahrscheinlich nicht verstehen.«
    »Doch, kann ich.« Sie ahnte ja gar nicht, wie gut! »Trotzdem musst du ihn vergessen.« Und ehe sie mir mit neuerlicher Entrüs tung ins Wort fallen konnte, hatte ich bereits ihre Hände ergriffen. »Aimee, ich weiß, du denkst, er hat dich geküsst. Aber das hat er nicht«, sagte ich leise. »Er hat dir bloß das Leben gerettet.«
    »Das ist nicht wahr«, erwiderte sie und versuchte, sich aus meinem Griff zu befreien. »Du lügst, weil du ihn für dich haben willst.«
    Aimee hatte recht. In nahezu jeder Hinsicht. Aber ich konnte ihr ja schlecht die ganze Wahrheit sagen.
    »Gordian und ich sind nicht mehr zusammen«, betonte ich da her noch einmal.
    »Natürlich nicht! Er ist meinetwegen zurückgekommen!«
    »Aimee, verdammt noch mal!«, rief ich ungeduldig. »Gordian hat dich nicht geküsst, sondern beatmet. Hätte er dich etwa er trinken lassen sollen?«
    »Ja, das hätte er!«, schrie sie mich an und entriss mir mit einem Ruck ihre Hände. Ein kurzer Anflug von Schmerz zuckte über ihr Gesicht, doch dann überwog wieder der verzweifelte Ausdruck. »Wenn er mich nicht liebt, will ich nicht mehr leben«, kreischte sie mit sich überschlagender Stimme. »Und er soll auch tot sein. Hörst du? Tot. Tot. Tot!«

Ich wusste, ich hätte Aimee diese Begegnung vergessen lassen müssen, und ich wäre auch dazu in der Lage gewesen, denn mir war ja inzwischen klar, dass ich diese Fähigkeit nicht verloren hat te, aber ich bekam es einfach nicht hin.
    Ich dachte an Mam und mich und an Cecily Windom und daran, was Javen Spinx uns mit diesem Talent angetan hatte. So hilfreich es manchmal auch sein mochte, inzwischen war ich mir nicht mehr sicher, ob der Nutzen den Schaden tatsächlich immer überwog. Es reichte mir nicht mehr, wenn das Meer mir seinen Se gen dafür gab, ich musste das, was ich tat, selbst verantworten, vor allem aber mit meinem eigenen Gewissen vereinbaren können.
    Und das war eben bei Aimee nicht der Fall gewesen. So gefähr lich ihr Wissen auch war – für mich, für Gordian und für alle anderen Nixe –, ich fand, dass ich kein Recht dazu hatte, ihr einen Teil ihrer Erinnerungen und damit auch einen Teil ihres Lebens zu nehmen.
    Mit dieser Erkenntnis stand ich nun da, starrte auf die Tür, die Aimee vor wenigen Minuten hinter sich zugeschlagen hatte, und wartete darauf, dass meine Großtante jeden Augenblick he raufgestürmt kam, um sich danach zu erkundigen, was nun schon wieder passiert sei.
    Doch ich hörte weder ihre Schritte auf der Treppe noch wurde die Tür plötzlich aufgerissen, sodass ich schließlich davon ausging, dass Tante Grace entweder nichts von Aimees Besuch mitbekom men oder inzwischen den Entschluss gefasst hatte, die mich betreffenden Dinge erst einmal auch mir zu überlassen und darauf zu vertrauen, dass ich mich schon meldete, wenn ich ihren Rat oder ihre Hilfe brauchte.
    Ich breitete ein großes Handtuch über die feuchte Stelle auf meinem Bett, hockte mich mit untergeschlagenen Beinen dane ben und schaute aufs Meer hinunter.
    Inzwischen war das Blau des Himmels etwas klarer geworden, das Wolkenband am Horizont hatte sich verzogen und die Son nenstrahlen tanzten auf den Wellen.
    Es kostete mich eine irrsinnige Selbstbeherrschung, nicht gleich wieder zu den Klippen zu rennen und nach Gordy zu rufen. Er war da, ich hatte keinerlei Zweifel, dass Aimee ihn wirklich und wahrhaftig dort unten ganz in der Nähe unserer Stelle gesehen hatte. Er musste meinetwegen gekommen sein, vielleicht weil er mich sehen wollte – so hoffte ich zumindest –, viel wahrscheinli cher aber war, dass er mir etwas Wichtiges mitzuteilen hatte, denn nur so konnte ich mir seine große Risikobereitschaft erklären.
    »Warum bist du nicht abends oder nachts gekommen?«, flüs terte ich. »Wie früher? Das wäre doch so viel ungefährlicher ge wesen!«
    Das Schiebefenster stand zwar nicht immer offen, zum Beispiel dann nicht, wenn es sehr windig war und Ruby bei mir schlief, ich war mir dennoch sicher, dass ich es selbst im tiefsten Schlum mer gespürt hätte, wenn Gordian dort draußen auf dem Balkon gestanden hätte.
    Angespannt glitt mein Blick über die Uferklippen und die Wellen, die sanft zwischen ihnen anbrandeten. Bei jedem Schatten einer

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