Meerestosen (German Edition)
eines gewöhnlichen Delfinnixes, möglicherweise hättest du dort unten sowieso nichts ausrichten können und …«
»Sag ich doch«, fiel er mir ins Wort.
»Verdammt noch mal, Gordy, so meine ich das aber nicht«, ent gegnete ich aufgebracht. Allmählich war ich es leid, immer und immer wieder über seine angeblichen Unzulänglichkeiten zu dis kutieren. »Niemand außer dir selbst sieht in dir etwas Minderwer tiges.«
»Dann hast du Ramons und Poys Blicke nicht gesehen.«
»Die interessieren mich nicht.«
»Das sollten sie aber!« Gordian sah mich finster an. »Seit mei nem letzten Zusammentreffen mit Ramon hat sich einiges geän dert. Selbst die befreundeten Delfinnixe scheinen mir nicht wei terhin freundlich gesinnt zu sein. Ich bin mittlerweile nicht einmal mehr sicher, ob Cullum und Oceane noch uneingeschränkt zu mir stehen.«
Trotz aller Liebe, aber diese Befürchtung teilte ich. Okay, sie waren seine Eltern, und sie wünschten ihm ganz sicher nichts Bö ses, doch nachdem ich eben selbst miterlebt hatte, dass die beiden tatenlos zusahen, als Gordian zu sterben drohte, hegte auch ich große Zweifel an ihrer Solidarität.
Sie haben ihre Emotionen verborgen gehalten.
Okay, jetzt kam das Thema also doch auf den Tisch.
Sie haben nichts unternommen, um dir zu helfen, präzisierte ich.
»Sie hätten nichts tun können«, gab Gordy matt zurück. »Nur Kirby oder du …«
»Wieso ausgerechnet sie?« Ich spürte einen leisen Zorn aus mei nem Becken aufsteigen und musste mir Mühe geben, nicht unbe herrscht zu klingen. »Wieso Kirby?«
Gordian wich meinem Blick aus. »Das willst du nicht hören.«
»Schon möglich. Sag es mir trotzdem.«
Gordy sah mich noch immer nicht an. »Es hängt mit unseren Talenten zusammen«, erklärte er mir schließlich widerstrebend. »Sie sind in gewisser Weise identisch.«
»Das verstehe ich nicht.« Vielmehr hatte ich den Eindruck, als seien sie vollkommen verschiedenartig. »Kirby strahlt so viel Kälte aus, dass sie andere damit lähmt.«
Oder sogar tötet, fügte Gordian hinzu.
»Und du heilst körperliche und seelische Wunden«, fuhr ich stockend fort. Auf einmal war meine Stimme so rau, dass ich kaum weitersprechen konnte, denn ich ahnte, worauf das Ganze hinauslief. »Womit du genau das Gegenteil von dem bewirkst, was Kirby tut.«
Gordy räusperte sich, bevor er mir wieder sein Gesicht zuwand te. »Eure Talente heben sich gegenseitig auf«, flüsterte ich.
Er nickte kaum merklich, und seine Iris flackerte, als er mir die Konsequenzen, die sich daraus ergaben, zu verdeutlichen be gann. »Niemand kann Kirbys tödliche Kraft neutralisieren … au ßer mir«, sagte er leise. »Und niemand kann mich daran hindern, jemanden zu heilen …«
»Außer Kirby.« Meine Stimme war nur noch ein Hauch. »Aber das ist bösartig. Warum sollte sie so etwas tun?«
Wieder hob Gordian einen Stein auf, diesmal ließ er ihn lang sam die Klippen hinunterkullern. Mit einem leisen Platschen versank er im Wasser.
»Einmal … wir waren noch Kinder … fanden wir einen kranken Delfin, der schutzlos am Meeresgrund im Sterben lag.«
»Du wolltest ihn heilen, aber Kirby hat dich daran gehindert?«
Er nickte abermals.
»Wir blieben bei ihm, bis er gestorben war. Danach diente er einem verletzten Hammerhai als Nahrung.«
Es dauerte einen Moment, bis bei mir der Groschen fiel.
»Der Delfin hat einem Hai das Leben gerettet?«, stieß ich her vor. »Und Kirby hat das gewusst?«
Jetzt schüttelte Gordian den Kopf. »Nicht gewusst. Eher ge spürt. Nixkinder handeln hundertprozentig intuitiv. Je älter sie werden, desto mehr drängen sich persönliche Interessen in den Vordergrund. Deshalb ist es nur gut, dass die Natur ein Regulativ dafür geschaffen hat.«
Allmählich fing ich an zu verstehen.
»Wenn wir Hainixe unsere Talente missbrauchen, verlieren wir sie. Delfine dagegen benötigen einen Partner, der dafür sorgt, dass dies gar nicht erst geschieht, richtig?«, sagte ich, und erst während ich diese Worte sprach, begriff ich wirklich, was das bedeutete. Denn offenbar sorgte dieses Regulativ sogar dafür, dass Delfinni xe mit sich ergänzenden Talenten einander gegenseitig am Leben halten konnten.
In meiner Brust wurde es so eng, dass ich kaum noch Luft be kam. »Ist das immer so?«
»Nein.« Gordy zögerte, bevor er weitersprach. »Es ist eher eine Ausnahme.«
Aber dann …
Ich brauchte nicht weiterzusprechen und Gordian musste auch nichts bestätigen. Die Sache war klar: Er und
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