Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
Vom Netzwerk:
wir waren, zu einer Einheit verschmolzen.
    Diese Erinnerung wollte ich mir unbedingt bewahren. Denn wenn Gordian recht behalten sollte, würde ich irgendwann un widerruflich ein Mensch sein und er ebenso unwiderruflich ein Nix, der nicht mehr an Land gehen und nie wieder Beine und ein menschliches Geschlecht besitzen würde.
    Diese Vorstellung tat unendlich weh, aber ich begann zu ak zeptieren, dass wir eine Bestimmung hatten. Die galt es anzunehmen, anstatt sich ihr verzweifelt zu widersetzen. Ich durfte nicht in lähmende Lethargie verfallen, sondern musste mich auf das konzentrieren, was allen diente.
    An meinen Gefühlen für Gordian änderte das nichts. Vielmehr gab mir meine Liebe zu ihm die Kraft, die ich für diese Aufgabe benötigte. Ganz egal, was er war oder eines Tages sein würde: Ich liebte ihn wie nichts und niemanden auf der Welt – alles Weitere lag nun nicht mehr in meiner Macht.

    Nachdem ich eine geraume Zeit durch offenes Meer ohne Un tiefen, Riffe oder Seepflanzen geschwommen und dabei kaum einem Fischschwarm, einem Tintenfisch oder sonst einem Lebe wesen begegnet war, kam nun plötzlich aus der bisher undurch dringlichen Tiefe unter mir ein dunkler, mit Schlingpflanzen und Tang durchsetzter Boden zum Vorschein.
    Ich verlangsamte mein Tempo und sah mich nach einer geeig neten Stelle um, an der ich auf Cyril warten konnte.
    Ungefähr eine halbe Seemeile links von mir entdeckte ich ei nen riesigen zerklüfteten Felsen, der stolz wie ein mittelalterlicher König aus dem Pflanzenwald aufragte. Vielleicht fand ich darin eine Spalte, in der ich für eine Weile unterschlüpfen und ver schnaufen konnte.
    Ich schaute kurz zurück und vergewisserte mich, dass Cyril noch nicht zu sehen war, dann legte ich die Arme an und glitt lautlos auf den Felsen zu.
    Ich hatte noch nicht einmal die Hälfte der Wegstrecke hinter mich gebracht, als ein ohrenbetäubender Knall das Wasser erschütterte. Er schlug so heftig gegen mein Trommelfell, dass ich für einige Sekunden völlig taub – und sogar blind war. Obwohl ich den Ursprungsort dieses entsetzlichen Geräusches nicht ausmachen konnte, schoss ich panisch davon, in eine Richtung, von der ich annahm, dass sie mich nicht geradewegs in den nächsten Knall hineinführte.
    Mein Kopf schmerzte, als ob mir jemand einen stumpfen Ge genstand über den Schädel gezogen hätte, noch viel schlimmer aber war, dass ich die Orientierung verloren hatte. Ich nahm mei ne Umgebung nur noch verschwommen wahr und das Gespür für Entfernungen oder Himmelsrichtungen schien vollkommen aus meinem Gedächtnis gelöscht zu sein.
    Planlos stob ich mal hierhin, mal dorthin und schließlich ließ ich mich kraftlos zu Boden sinken. In der Hoffnung auf ein we nig Halt grub ich meine Finger in den schlammigen Boden. Ich fühlte mich verletzlich und verlassen und mit einem Mal wurde ich von brennendem Heimweh übermannt. Fast genauso sehr wie nach Gordy hungerte ich plötzlich nach Tante Grace, nach Rubys Lachen und Ashtons Teddybärblick, nach Musik von Joe Jackson, festen vier Wänden, einer Quiche … und nach meiner Mutter. – Ach, Mam, was würde ich darum geben, wenn ich mich jetzt in deine Arme fallen lassen, dir alles erzählen, mich ausruhen und von dir trösten lassen könnte!
    Seufzend schloss ich die Augen und betete, dass Cyril mich hier fand und ganz schnell nach Hause brachte.
    Wie schön wäre es, jetzt in meinem Bett im Apartment von Tante Gracies Cottage zu liegen, die Stille zu genießen und end lich schlafen zu dürfen. Die Strapazen der vergangenen Tage nagten an meinen Kräften. Ich war müde, so schrecklich müde! Doch anstatt mir einen kleinen Vorgeschmack auf die ersehnte Ruhe zu gewähren, bombardierte mein Gehirn mich nun mit wirren Bildern, die innerhalb von Sekundenbruchteilen kaleidoskopisch ineinanderfielen, um sich gleich darauf wieder zu etwas Neuem zusammenzusetzen.
    Was mir anfangs noch völlig sinnlos erschien, formte sich nach und nach zu fassbaren Szenen: Menschenleichen, die an schnee weiße Strände gespült wurden, ein Meer, das gigantische Wellen auftürmte, und immer wieder Gordy, dessen blutüberströmter Körper sich trudelnd auf den Meeresgrund zubewegte.
    Nein!, schrie ich. Nein! Nein! Nein!
    Ich riss die Augen auf – und konnte wieder sehen! Und zwar glasklar, so als wäre nie etwas gewesen. Und mit einem Schlag kehrte auch meine Energie zurück.
    Ich stieß mich vom Boden ab und stellte überrascht fest, dass ich mich in unmittelbarer Nähe des

Weitere Kostenlose Bücher