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Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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dann sind alle drei mit dem Boot raus … und gekentert?«
    Ich zuckte hilflos die Achseln. Mein Blick glitt zu Mam, die den Kopf gesenkt hatte und sich nervös den Nacken rieb.
    »Und Ruby und dieses Mädchen konnten sich retten?«, fragte Tante Grace so scharf, dass ich zusammenzuckte.
    »Nein, nur Ruby«, stammelte ich. »Moira … sie ist verschwunden.«
    »Und was hast du damit zu tun?«, wollte meine Mutter wissen.
    Überrascht sah ich sie an und eine glühende Hitze stieg mir ins Gesicht. »Wieso?«
    »Na ja, du bist doch so etwas wie eine … eine …«
    »Nixe, Mam«, half ich ihr auf die Sprünge. »Exakt ausgedrückt, eine Halbnixe. Du kannst es ruhig aussprechen.«
    Meine Mutter keuchte leise und Tränen sammelten sich in ihrem Unterlid. »Entschuldigung«, brachte sie mühsam heraus. »Aber ich … Im Moment ertrage ich das alles nicht.«
    Sofort tat es mir leid, dass ich sie so hart angegangen war. Ich senkte den Kopf und krächzte: »Schon okay.«
    Dabei wünschte ich mir so sehr, dass ich mich in ihre Arme fal len lassen könnte und sie mir ein wenig Halt geben würde.
    Bilder von Ashtons panischem Gezucke unter Wasser, seinem blassen Gesicht und Rubys verzweifeltes Schluchzen rauschten durch meinen Kopf und trieben auch mir Tränen in die Augen.
    »Ach, Kindchen.« Tante Grace beugte sich zu mir herunter, streichelte mir über den Rücken und drückte mich zärtlich an sich. »Was machen wir nur mit dir? Was machen wir nur?«
    »Ich verstehe das alles nicht«, sagte meine Mutter. »Ich meine … kann dir dein Gordian nicht helfen? Wo ist er überhaupt abgeblieben?«
    Ich löste mich aus Tante Gracies Umarmung, wischte mir die Tränen fort und setzte mich aufrecht hin.
    »Mein Gordian, Mam, ist nicht mehr mein Gordian«, sagte ich mit zitternder Stimme. »Wir passen nämlich nicht zusammen. Er ist ein Delfinnix und ich bin ein Mischling aus Mensch und Hai nix. Das habe ich dir doch alles schon erklärt.«
    Meine Mutter nickte. Sie hatte den Blick vor sich auf den Tisch gerichtet, doch nun hob sie den Kopf und sah mir direkt in die Augen.
    »Ich bleibe hier«, erklärte sie. »Hier bei dir. Wir müssen darü ber nachdenken, wie es jetzt weitergeht … wo du leben willst … und was aus deiner Zukunft wird.«
    »Mam, für mich gibt es da nichts zu überlegen«, gab ich leise zurück. »Ich bleibe hier auf Guernsey.«
    »Aber wovon willst du denn leben?«, erwiderte sie.
    Das war eine in jeder Hinsicht absurde Frage. Denn für mich stellte sie sich überhaupt nicht. Wenn meine Großtante mir keine Unterkunft gewährte, würde ich mich notfalls bis an mein Le bensende von rohem Fisch ernähren. Wahrscheinlich konnte ich sogar zwischen den Klippen, irgendwo am Strand auf Herm oder in einer der Höhlen von Sark übernachten. Ich brauchte ein we nig menschliche Gesellschaft, aber sicher keine Zivilisation. Die Vorstellung, nach Lübeck zurückzukehren und dort oder in einer anderen, womöglich noch größeren Stadt zu wohnen, löste ein tiefes Unbehagen in mir aus.
    »Mam«, sagte ich sanft und mein Herz klopfte zum Zersprin gen. »Müsstest du dir nicht viel eher Gedanken darüber machen, wie dein Leben in Zukunft weitergehen soll?«

Es war ein gutes Gefühl, wieder in meinem Apartment zu sein. Tante Grace hatte aufgeräumt, sauber gemacht und das Bett frisch bezogen, aber nichts verändert.
    Als Erstes öffnete ich das große Schiebefenster und ließ die milde Nachtluft herein. Ich tat ein paar tiefe Atemzüge und versuch te, mir Mams Reaktion nicht allzu sehr zu Herzen zu nehmen.
    Sie wisse schon, was sie mit ihrem Leben anzufangen habe, hat te sie gesagt. Diejenige, um die es hier ginge, sei ich. Und solange ich meinen Platz nicht gefunden hätte, würde sie die Insel nicht verlassen. Basta.
    Ich verstand meine Mutter wirklich sehr gut, denn ich hatte ja nicht nur meine, sondern auch ihre Welt komplett auf den Kopf gestellt, und ich hätte ihr wirklich wahnsinnig gern gesagt, wie sehr ich sie vermisste – sie und die Zeit, die uns früher gehört hatte. Doch damit hätte ich es für uns beide wahrscheinlich nur noch schlimmer gemacht.
    »Ach, Sina«, hörte ich mich murmeln. »Was soll ich nur tun?«
    Unwillkürlich zuckte ich zusammen. Hatte ich das wirklich ge rade gesagt?
    Tja, wenn ich ehrlich war, und das wollte ich sein, vermisste ich nicht nur Mam, sondern auch meine alte Freundin, die mir mein halbes Leben mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte. Seitdem ich das letzte Mal in Lübeck gewesen

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