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Meerestosen (German Edition)

Meerestosen (German Edition)

Titel: Meerestosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Schröder
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zusehen, wie sich sein Leib in den eines großen grauen Meerestieres verwandelte.«
    Tante Grace sah mich halb erwartungsvoll, halb besorgt an, und ich erwiderte ihren Blick, allerdings begriff ich überhaupt nichts.
    »An wen erinnert dich das?«, versuchte sie mir auf die Sprünge zu helfen.
    Keine Ahnung.
    »An Cyril oder an Gordian?«
    Ich schluckte. »An Gordian, natürlich!«
    »Natürlich?«
    »Ja, weil er und ich zusammen waren«, entfuhr es mir. »So wie deine Mutter und Patton. Auch wir haben jede Minute miteinan der verbracht …«
    … haben uns geküsst und geliebt …
    Energisch wischte ich die süße Erinnerung zur Seite.
    »Cyril ist nur ein Freund, Tante Gracie«, stöhnte ich. »Willst du das denn gar nicht verstehen?«
    Sie berührte mich sachte an der Schulter. »Doch, Elodie. Ich habe das sogar sehr genau verstanden.«
    »Außerdem ist Cyril der Sohn von Javen Spinx«, platzte es aus mir heraus.
    Das tat zwar im Moment nichts zur Sache, aber irgendwie war es mir offenbar ein Bedürfnis, ihr diese nicht ganz unwesentliche Tatsache mitzuteilen.
    »Ach, tatsächlich?«
    Meine Großtante hob überrascht die Augenbrauen. Ich glaub te sogar, so was wie Erleichterung in ihrer Miene zu lesen. Diese Reaktion irritierte mich, aber im Augenblick war mir etwas ande res wichtiger.
    »Willst du mir nicht endlich erklären, was es deiner Ansicht nach mit diesem Satz auf sich hat?«, sagte ich ungeduldig, denn ich wollte das Thema Verwandtschaft nur ungern weiter vertie fen.
    Erst mit Tante Graces folgenden Worten wurde mir klar, dass es im Grunde schon die ganze Zeit einzig und allein nur darum gegangen war.
    »Cyril und Javen Spinx unterscheiden sich von Gordian in der Art und Weise, wie sie leben.«
    Zuerst wollte ich widersprechen, doch dann begriff ich, was sie meinte. Hainixe hielten sich überwiegend an Land auf, von ei nigen konnte man sogar behaupten, dass sie sesshaft geworden waren, jedenfalls war es kein Problem für sie, dem Wasser längere Zeit fernzubleiben. Ganz im Gegensatz zu Gordian … und zu Patton, der offenbar jeden Tag ins Meer abgetaucht und schließlich ganz verschwunden war. Der wichtigste Punkt aber war: Patton hatte sich ohne das geringste Zögern auf eine Liebesbeziehung eingelassen – und das taten Hainixe nicht.
    »Du denkst, er ist ein Delfinnix gewesen?«, hörte ich mich un gläubig fragen. Denn das konnte eigentlich nicht sein. Erstens trug ich eindeutig Hainixgene in mir und zweitens hätte ein Del finnix meine Urgroßmutter wohl kaum am Leben gelassen.
    »Nun ja«, erwiderte Tante Grace gedehnt. »Ich finde nicht, dass Delfine besonders große Meerestiere sind.«
    »Also doch ein Hai!«
    Sie schüttelte den Kopf. »Du weißt sicher besser als ich, ob das überhaupt möglich ist, aber ich würde auf einen Wal tippen.«
    In meinem Kopf flog alles durcheinander, mein Herz raste und das Blut rauschte mir in den Ohren.
    Patton – ein Walnix! War das möglich?
    Unser Erbgut speichert gewisse Prozesse und dazu gehören auch die Erinnerungen unserer Vorfahren.
    Das hatte Neeron gesagt. Und ich hatte behauptet, dass meine Vorfahren nie Kontakt mit einem Walnix gehabt hätten!
    Was für ein Irrtum! Nun gab es also eine Erklärung dafür, warum ich mich als Hainixe auch mit Delfinnixen verständigen konnte. Ich war ihnen viel ähnlicher, als ich bisher angenommen hatte! Und offenbar nur um dieser Ähnlichkeit willen hatte das Meer bereits vor so vielen Jahren Patton an Land geschickt.
    »Mir ist schon klar, dass das jetzt alles auf den Kopf stellt«, drang Tante Graces Stimme zu mir vor. »Aber die Nixgene, die du in dir trägst, können nicht von deinem Urgroßvater stammen. Zumindest nicht nur.«

Keine Ahnung, wie lange ich meine Großtante einfach nur ange starrt hatte. Aber dann schoss die Erkenntnis, die ich die ganze Zeit zu ignorieren versucht hatte, plötzlich wie ein Blitz in mich ein: Mein Vater war nicht mein Vater. Meine Mutter hatte ihn und mich mein ganzes Leben lang belogen.
    Alles, was nun folgte, war reiner Reflex. Ich schob mich an Tan te Grace vorbei, durchquerte das Zimmer und schlüpfte auf den Balkon hinaus.
    »Elodie, warte!«, hörte ich sie noch rufen, eine Sekunde später war ich bereits in den Garten hinabgesprungen.
    Wie von Sinnen hastete ich über die Klippen zum Meer hin unter. Als meine Beine sich zum Haischwanz zusammenschlos sen, atmete ich auf. Und dann schoss ich los. Mit peitschenden Flossenschlägen jagte ich durchs Wasser. Unter mir wirbelte

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