Meerjungfrau
eigenen pudelwohl, aber diese sehen auch schön aus.« Erica unternahm einen Versuch, sich allein aufzurappeln, hatte aber wie üblich wenig Erfolg. Kenneth reichte ihr die Hand und half ihr auf.
»Danke.« Erica wickelte sich ihren langen Schal um den Hals. »Das mit Ihrer Frau«, murmelte sie schlieÃlich, »tut mir wirklich leid. Ich hoffe â¦Â« Sie fand keine weiteren Worte. Kenneth nickte stumm.
Bibbernd trat Erica wieder hinaus in die Kälte.
Christian fiel es schwer, bei der Sache zu bleiben. Normalerweise gefiel ihm die Arbeit in der Bibliothek, aber heute konnte er sich überhaupt nicht konzentrieren. Es war unmöglich, die Gedanken in eine bestimmte Richtung zu lenken.
Jeder Besucher gab irgendeinen Kommentar zur Meerjungfrau ab. Manche berichteten von der Lektüre, andere wollten das Buch noch lesen, und einige hatten ihn im Frühstücksfernsehen gesehen. Er antwortete brav. Bedankte sich, wenn er gelobt wurde, und beschrieb denen, die darum baten, kurz und bündig den Inhalt des Romans. Am liebsten hätte er jedoch laut geschrien.
Er konnte nicht aufhören, daran zu denken, was Magnus Entsetzliches zugestoÃen war. Wieder kribbelte es in seinen Händen, und das Gefühl dehnte sich allmählich aus. In die Arme, den Rumpf und in die Beine hinunter. Manchmal spürte er am ganzen Körper einen heftigen Juckreiz und konnte kaum still sitzen. Deshalb hielt er sich ständig zwischen den Regalen auf. Räumte Bücher an ihren Platz zurück und richtete die Buchrücken in Reih und Glied aus.
Einen Augenblick lang hielt er inne. Seine Hand ruhte auf den Büchern, und er war auÃerstande, die Hand zu bewegen oder wegzunehmen. Dann kamen die Gedanken, die ihn in letzter Zeit immer häufiger heimsuchten. Was machte er überhaupt hier? Wieso befand er sich jetzt ausgerechnet hier an diesem Ort? Er schüttelte den Kopf, um sie zu vertreiben, aber sie drangen tiefer und tiefer in ihn ein.
Vor dem Eingang zur Bibliothek ging jemand vorbei. Er erhaschte nur einen kurzen Blick auf die Person, erahnte mehr die Bewegung als einen Umriss. Das Gefühl jedoch war das Gleiche wie auf der Heimfahrt am Vorabend. Beängstigend und doch vertraut.
Er eilte in den Eingangsbereich und blickte in die Richtung, in der die Person verschwunden war, aber der Gang war leer. Keine Schritte oder andere Geräusche waren zu hören, niemand war zu sehen. Hatte er es sich nur eingebildet? Christian presste die Finger an die Schläfen. Er schloss die Augen und sah Sanna vor sich. Ihren Gesichtsausdruck, als er ihr erzählte, was halb wahr und halb gelogen war. Ihr aufgerissener Mund, das Mitleid, in das sich Entsetzen mischte.
Nun würde sie keine weiteren Fragen mehr stellen. Zumindest eine Weile. Und das blaue Kleid war wieder auf dem Dachboden verstaut, wo es hingehörte. Mit einem Häppchen Wahrheit hatte er sich eine Ruhepause erkauft. Doch bald würde sie wieder alles hinterfragen, nach Antworten suchen und nach dem Teil der Wahrheit bohren, den er verschwiegen hatte. Der durfte jedoch nie ans Licht kommen. Auf keinen Fall.
»Entschuldigung, mein Name ist Lars Olsson. Ich bin Journalist und wollte Sie fragen, ob wir vielleicht ein paar Worte wechseln könnten. Telefonisch habe ich Sie nicht erreicht.«
»Ich habe mein Handy ausgeschaltet.« Er nahm die Hände vom Gesicht. »Was wollen Sie?«
»Gestern ist doch unter dem Eis ein Mann gefunden worden. Magnus Kjellner, der seit November verschwunden war. Wenn ich das richtig verstanden habe, waren Sie gut befreundet?«
»Wieso fragen Sie danach?« Christian wich zurück und flüchtete sich hinter den Empfangstresen.
»Es ist doch ein merkwürdiger Zufall, finden Sie nicht? Sie erhalten über einen längeren Zeitraum Drohungen, und einer Ihrer engsten Freunde wird tot aufgefunden. AuÃerdem ist er nach neuesten Informationen wahrscheinlich ermordet worden.«
»Ermordet?« Christian verbarg die Hände unter dem Tresen. Sie zitterten heftig.
»Die Leiche weist Verletzungen auf, die darauf hindeuten. Wissen Sie, ob Magnus Kjellner ebenfalls bedroht wurde, oder wer Ihnen die Briefe geschickt haben könnte?« Der aufdringliche Tonfall des Journalisten lieà Christian keine Möglichkeit, die Antwort zu verweigern.
»Darüber weià ich nichts. Ich weià absolut nichts.«
»Aber anscheinend hat es jemand auf Ihre Person
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