Mehr als ein Sommer
und Fußgänger wie Wasser durch sämtliche Ritzen strömten. Eine Frau, die von Kopf bis Fuß in ein schwarzes Gewand gehüllt war, trug auf dem Rücken einen schweren Schrank vor dem Taxi quer über die Straße. Durch den schmalen Schlitz in ihrer Verhüllung fixierte sie Trevor mit forschendem Blick. Die Intensität, mit der sie ihn ansah, ließ ihn auf dem Sitz hin und her rutschen. Ihr Kopf drehte sich, damit sie ihn weiterhin im Blick behalten konnte, als sie den Bürgersteig erreichte. Die Temperaturen waren stark gestiegen, seit sie sich auf den Weg gemacht hatten; er rollte die Ärmel seines Hemdes hoch und öffnete einen weiteren Kragenknopf, dann schloss er das Fenster vor dem Gestank der Abgase.
Das Taxi fuhr eine breite, mit Palmen gesäumte Allee entlang, die dem Verlauf des schlammigen Nils folgte, auf dem traditionelle Feluken mit ihrer anmutigen lateinischen Besegelung zwischen Schleppkähnen aus Stahl und modernen Kreuzfahrtschiffen lavierten. Im weiteren Verlauf des Flusses ließen sie das grüne Band der Vegetation hinter sich und gelangten in die Wüste. Trevor erwartete, dass es, je extremer die Landschaft wurde, immer weniger Anzeichen menschlichen Lebens geben würde, doch ballten sich zu beiden Seiten der Straße immer wieder getünchte Lehmziegelhäuser. Sie erstreckten sich über die monotone, farblose Landschaft, die öder war als die Prärie von Saskatchewan, in der er aufgewachsen war. Er hatte sich die Wüste immer vorgestellt wie eine vergängliche Hügellandschaft aus verwehendem Sand, die den wogenden Weizenfeldern ähnelte, aber der Boden hier war hässlich, grau und uneben vom Schotter.
»Gottverlassene Einöde«, murmelte er vor sich hin. Dann sagte er laut: »Haben Sie eine Klimaanlage?«
Der Taxifahrer schüttelte den Kopf. Constance fächerte sich mit dem Katalog des Museums Luft ins Gesicht. Sie hatte sich umgezogen, bevor sie aus dem Flughafenhotel gegangen waren. Sie trug jetzt weite Khakihosen, eine weiße, ärmellose Bluse und einen Strohhut mit einer breiten Krempe. Trevor verstand allmählich, warum ihr Koffer eine ganze Tonne wog, enthielt er doch für jede Gelegenheit das passende Outfit. Das Einzige, was er selbst dabeihatte, war eine Anzughose aus Polyester und das eine Hemd, das er trug und das ihm jetzt bei vierzig Grad Hitze am Rücken klebte. Vor ihnen ragten die gewaltigen Pyramiden von Gizeh über die flachen Hausdächer.
Constance hörte auf, sich Luft zuzufächeln, beugte sich nach vorn gegen den Vordersitz und spähte aus dem Fenster. »Meine Freundin Iris sagt, dass Menschen, die auf die Pyramide klettern, den unwiderstehlichen Drang verspüren hinunterzuspringen, wenn sie sich der Spitze nähern«, verkündete sie.
»Wie will sie das denn wissen?« Trevor lehnte sich zurück und spürte diese Spannung zwischen den Schulterblättern, die sich wie ein Messer anfühlte und ihm inzwischen sehr vertraut war.
»Iris liest viel«, antwortete Constance. »Lesen Sie gern?«
Aber Trevor hatte die Augen geschlossen, tat, als ob er schliefe und antwortete nicht. Er fragte sich, ob sie wusste, dass er ihr nur etwas vormachte.
»Die alten Ägypter glaubten, das Leben nach dem Tod sei eine Fortsetzung ihrer Existenz auf Erden. Trotzdem sind die Gründe für die Erbauung dieser gewaltigen Pyramiden bis heute ein Rätsel für die Ägyptologen. Wir wissen nur, dass die sterblichen Überreste der ägyptischen Königsfamilie darin zur Ruhe gebettet waren, die der Pharaonen und ihrer Ehefrauen. Diese spezielle Pyramide, die man die Cheops-Pyramide nennt, ist die größte aller ägyptischen Pyramiden und das Grabmal des Herrschers Chufu, der auch unter seinem griechischen Namen Cheops bekannt ist. Sie gehört zu den sieben Weltwundern der Antike, erhebt sich hundertfünfzig Meter in die Höhe und besteht aus sechseinhalb Millionen Tonnen Kalkstein. Jeder einzelne Kalksteinblock wiegt...«
Trevor öffnete noch ein paar Knöpfe seines Hemdes und wischte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn. Aber der Wind und die dörrende Hitze saugten ihm den letzten Tropfen Feuchtigkeit aus der Haut und wehten ihn davon in die Wüste. Ein Wirbel aus Sand fegte durch die Gruppe von Touristen, während sie dem Vortrag eines Reiseführers über die Pyramiden lauschten. Trevor rieb sich den grobkörnigen Staub mit dem Handrücken von den Augenlidern. Etwas weiter weg zu ihrer Linken flegelten zwei Araber in wallenden Gewändern rittlings auf zwei Kamelen herum, von deren
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