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Mehr als ein Sommer

Mehr als ein Sommer

Titel: Mehr als ein Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Eriksson
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Tiefe fielen und wie sein Atem keuchte; sie nahm an, dass er Raucher war wie die meisten jungen Männer, die sie bisher in Kairo gesehen hatte. Donald hatte geraucht, eine widerliche Angewohnheit, die sie verabscheute. Sie hatte die dreckigen Aschenbecher gehasst, die überall im Haus standen, den Gestank seiner Kleidung und wie ekelhaft sein Mund schmeckte, wenn er sie küsste. Selbst als Susan als Baby an Asthma gelitten hatte, hatte sie ihn nicht dazu bewegen können aufzuhören. Am Ende hatten die Zigaretten ihm den Garaus gemacht. Sie fühlte einen Anflug von selbstgerechter Schadenfreude in sich aufsteigen, aber im nächsten Moment schämte sie sich ihrer selbst.
    Das Schild war deutlich gewesen, in fünf verschiedenen Sprachen. Auf die Pyramiden zu klettern ist verboten. Normalerweise befolgte sie Gesetze und Verordnungen, doch seit Martins Tod ging sie häufiger schon mal bei Rot über eine Ampelkreuzung. Überquerte Straßen sogar an Stellen, an denen es absolut verboten war. Einmal hatte sie aus einer Drogerie in Sooke einen Schlüsselanhänger gestohlen, obwohl sie gar keinen brauchte. Als sie ihre Verfehlungen Iris gebeichtet hatte, hatte ihre Freundin gelacht. »Du bist fast achtzig, und endlich rebellierst du. Hat es dir wirklich genutzt, dein Leben lang anständig gewesen zu sein?« Vielleicht hatte Iris recht. Bisher hatten ihre kleinen Meutereien keine Bankräuberin oder Mörderin aus ihr gemacht.
    Der Wind wurde stärker, je höher sie kletterte. Jetzt war sie dankbar für die Fitnesskurse, die sie mit Iris im Gemeindezentrum besucht hatte. Dennoch musste sie zwischendurch Pausen einlegen, um wieder zu Atem zu kommen; dabei behielt sie aber immer im Auge, wie weit der Wachmann, der ihr folgte, noch von ihr entfernt war. »Stopp!«, rief er ihr alle paar Minuten in krächzendem Englisch zu.
    Die Spitze konnte nicht mehr weit sein, obwohl das schwer zu sagen war. Als sie nach oben blickte, blendete sie die Wüstensonne. Sie blinzelte und konnte nicht mehr klar sehen, weil sie von dem grellen Licht jetzt dunkle Flecken vor den Augen hatte. Sie versuchte zu ignorieren, wie erschöpft sie sich fühlte, bei jedem Haltegriff, bei jeder Fußstütze ein bisschen mehr. Einen Schritt nach dem anderen. Sie konzentrierte sich auf die Maserung des Kalksteins und erging sich in Verwunderung darüber, dass dieser Stein einstmals in der Antike Teil des Meeresbodens gewesen war. Wie sonderbar es war, dass er jetzt in der Mitte der Wüste stand.
    In dem Moment, in dem sie vor ihrem geistigen Auge das Bild des Meeresbodens in der Antike sah, wurde ihr klar, dass sie es nicht schaffen würde. Das lag nicht nur daran, dass ihr Verfolger immer näher kam, und es lag auch nicht an ihrer Erschöpfung. Plötzlich spielte es keine Rolle mehr, ob sie auf der Spitze der Pyramide oder auf dem Grund des Meeres war. Sie war Thomas gerecht geworden. Sie, seine Constance, hatte es gewagt zu fliegen.
    Mit einer letzten heroischen Anstrengung hievte sie sich auf den nächsten Felsblock. Ihr Rücken protestierte, aber sie hielt sich fest und stellte sich aufrecht hin, so mühsam es auch war. Die Beine ihrer Hose flatterten im Wind. Ihre Hände zitterten, als sie die Plastiktüte vom Gürtel nahm und die Vitamindose herausholte. Sie schraubte den Deckel ab und hielt Thomas empor in den unendlichen Himmel.

    Der Amerikaner zerrte an Trevors Arm. »Geben Sie mir mein Fernglas zurück, Sie Dieb.« Seine Frau beschwerte sich lautstark im Hintergrund. Trevor schenkte beiden keine Beachtung, war ganz auf Constance fixiert, die auf einer Felsplatte nur drei Etagen von der Spitze entfernt festzusitzen schien, der Wachmann nicht weit von ihr entfernt. Die Menschenmenge um ihn jubelte ihr zu. »Sie wird es schaffen! Geh weiter! Bleib jetzt nicht stehen!«
    Durch das Fernglas beobachtete er, wie Constance sich wacklig auf die Füße stellte und den Arm hob. Die wartende Menschenmenge wurde still, als ihr Verfolger auf den Fels hinter ihr kletterte. Aus ihrer Hand stieg eine Staubwolke empor und wurde sofort von einer Brise erfasst. Die Wolke, von der Trevor wusste, dass sie aus Asche bestand, drehte sich zu einem Wirbel und verschwand dann im Wind. Trevor konnte wegen ihres Hutes ihren Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber er ging davon aus, dass Constance lächelte und ein paar Tränen vergoss und dass sie ein Liedchen aus den Zwanzigerjahren summte, mit dem sie dem Penner aus Vancouver ein Ständchen brachte, weil er es endlich nach Ägypten

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