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Mehr als ein Sommer

Mehr als ein Sommer

Titel: Mehr als ein Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Eriksson
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Zaumzeug und Sattel farbenprächtige Quasten und Glocken herabbaumelten. Die Tiere reckten ihre einfältigen Köpfe in den Wind, öffneten die dicken, fleischigen Lippen und zeigten ihre abgenutzten, vierkantigen Zähne, die vom Alter ganz gelb waren. Ein Kamelhöcker. Ein von Hand geschriebenes Schild — Kamelritt $25Amerikanische Dollar — hing vom Hinterteil des Sattels. Alles für ein paar Mäuse. Er hatte gehört, dass die verdammten Biester einem in die Augen spuckten, wenn man ihnen zu nahe kam. Hinter den Kamelen erhoben sich die Steinmassen der Großen Sphinx, das Gesicht mit einem Baugerüst verkleidet, die Nase fehlte. Laut Aussage des Reiseführers war sie bei Schießübungen von Türken zerschossen worden. Wie in der Transithalle des Flughafens wimmelte es auch an den Pyramiden von bewaffneten Wachen.
    An seinem Arm konzentrierte Constance sich auf den Vortrag, das Kinn vor lauter Interesse in die Luft gestreckt. Wenn man von ihrem von der Hitze leicht geröteten Gesicht und dem zimtfarbenen Staub auf ihren Laufschuhen absah, wirkte sie kühl und gefasst, als sei sie auf Einkaufstour in einer kanadischen Shopping-Mall. Wie konnte sie in dieser Hitze bloß diese Perücke tragen? Trevor blickte zum zwanzigsten Mal auf seine Armbanduhr. Die Pyramiden waren nett, aber nachdem sie nun fünf Stunden lang Sehenswürdigkeiten besichtigt hatten, wurde es Zeit, zum Flughafen zurückzukehren und einen Flug nach Nairobi zu ergattern. Ein herrenloser Hund schnüffelte an seinem Schuh, und er trat mit dem Fuß nach dem Tier.
    Die Touristengruppe bewegte sich geschlossen auf den Eingang der Pyramide zu. Sein Entschluss stand fest: Dies hier war das letzte Zugeständnis, das er Constance gegenüber machte. Er hatte seinen Beitrag geleistet, den Tourismus in Ägypten am Laufen zu halten. Wenn sie sich weigerte, mit ihm zu gehen, würde er sie einfach hier zurücklassen.
    »Würden Sie die Jungs wohl mal gerade für einen Moment festhalten?« Constance legte ihm die geblümte Tasche ums Handgelenk. »Ich muss den Ort für kleine Mädchen suchen.«
    »Heißt das, dass Sie nicht da rein wollen?« Er gestikulierte in Richtung der niedrigen dunklen Öffnung, die hinein in die Pyramide führte, und sah endlich so etwas wie einen Hoffnungsschimmer.
    »Um nichts in der Welt würde ich mir das entgehen lassen. Gehen Sie nur vor. Ich komme nach.« Sie enteilte in Richtung des Gebäudes, in dem es die Eintrittskarten zu kaufen gab.
    »Wissen Sie, wie Sie laufen müssen?«, rief er ihr nach. »Wie wollen Sie uns wiederfinden? Constance!« Wieder fegte ein Miniatur-Sandsturm über sein Gesicht. Als er sich davon wieder erholt hatte, war sie spurlos verschwunden.
    Er quetschte sich durch den gedrungenen, dunklen Türrahmen ins Gedärm der Pyramide und stieß sich dabei prompt an einem der Kalksteinblöcke über ihm den Kopf. Ein enger Tunnel, erhellt von schwachen elektrischen Lampen, die in Einbuchtungen in die Wand eingelassen waren, wand sich verwinkelt aufwärts. Er folgte dem Durchgang und den Beinen, die vor ihm gingen. Die Luft war stickig und muffig. Das Atmen fiel ihm schwer, und sein Herz hämmerte ihm in der Brust. Der kalte Schweiß troff ihm von den Achseln. Seit seinem zwölften Lebensjahr hasste er geschlossene, enge Räume, seit dem Tag, da Onkel Pat ihn im Schrank eingesperrt hatte, weil er in Mathematik eine Vier geschrieben hatte. Er drehte sich um und blickte hinter sich. Wo war Constance? Sollte er auf sie warten? Der Mann hinter ihm starrte ihn finster an und scharrte dabei ungeduldig mit den Füßen. Trevor griff nach dem metallenen Geländer und musste sich Vorbeugen, da die Steigung schräger wurde und die Decke abfallend auf ihn niederging. Der Tunnel schloss sich um ihn her. Er spitzte die Ohren, um den Reiseführer zu verstehen, der ihrer Gruppe voranging und sie davor warnte, dass man kriechen müsse, um in die Kammer des Königs zu gelangen.

    Fünfundvierzig Minuten später tauchte Trevor ein in die Backofentemperaturen und das blendende Licht des Wüstennachmittags — dankbar, den klaustrophobischen Fängen des Innenlebens der Pyramide entronnen zu sein. Warum war Constance nicht zur Gruppe zurückgekehrt? Er wollte ihr über ein paar Fakten berichten, die er auf der Tour gelernt hatte. Dass die alten Ägypter ebenso wie sie Pantoffeln und Bücher mit ihren Angehörigen begraben hatten — nun ja, keine Pantoffeln und Bücher, wohl aber Dinge, die sie in ihrem Leben im Jenseits vielleicht brauchen

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