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Mehr als ein Sommer

Mehr als ein Sommer

Titel: Mehr als ein Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Eriksson
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konnten: Krüge mit Öl und kostbare, mit Juwelen besetzte Kronen, sogar mumifizierte Hunde. Er grinste bei der Vorstellung, wie Martin hoch droben auf einer Wolke saß, versunken in die Gesammelten Werken von William Shakespeare und dabei an seiner Pfeife zog, die Lieblingspantoffeln an den Füßen, auf dem Rücken zwei eingeklappte Flügelchen.
    Weiter vorn brüllte jemand und zeigte auf die Pyramide. Die Gruppe von Menschen vor ihm blieb geschlossen stehen und wandte sich um. Eine Woge der Aufregung fuhr durch die Menge. Ein Gewehrschuss ertönte. Trevor hob den Kopf und schaute ebenfalls nach oben. Im oberen Drittel auf der Vorderseite der Pyramide plagte sich jemand von Stein zu Stein, und eine zweite Person folgte mehrere Etagen weiter unten. Am Fuß der Pyramide liefen Wachen umher, gestikulierten wild und brüllten auf Arabisch.
    »Ein Kletterer«, verkündete ein Mann, der vor Trevor stand, seiner Ehefrau. Beide trugen rot-grün-karierte Bermuda-Shorts und T-Shirts mit dem Logo von Pharaoh Tours. Um ihre Hälse hing ein Knäuel aus Kameras, Ferngläsern und Sonnenbrillen.
    »Letzte Woche ist ein Mann zu Tode gekommen, ist von ganz oben heruntergefallen«, sagte die Frau und hielt sich die Hand vor die Augen, um nicht von der Sonne geblendet zu werden.
    Trevor blickte weiter in Richtung des Parkplatzes, um nach Constance zu suchen. Er hasste es, wie das Drama die Menschen anzog, wie sie vereint in der Menge glotzten und gafften und gegenseitig ihre Blutlust stillten. Fast erwartete er, dass sie bald in einen Sprechchor einfallen und »Spring! Spring!« rufen würden. Barbaren. Er blieb stehen und drehte sich um die eigene Achse. Wo zum Himmel war Constance abgeblieben? Er wollte hier weg, und sie hatte ihn wieder mal mit ihrer Tasche zurückgelassen. Hatte sie sich von irgendeinem Kamel ablenken lassen oder von einer weiteren Zufallsbekanntschaft? Er rieb mit den Fingerknöcheln über seine ausgetrockneten Lippen und suchte in der Segeltuchtasche nach Wasser: Bürstchen, zwei Ehegatten, kein Wasser. Moment mal. Zwei Ehegatten? Abrupt drehte er sich um, kniff die Augen zusammen und fixierte die Gestalt, die in den obersten Höhen der Pyramide herumkletterte. Dann rannte er zurück zu der Gruppe und griff nach dem Arm des Amerikaners in den Bermuda-Shorts.
    »Ich brauche Ihr Fernglas«, brüllte er.
    Der Mann wich erschrocken zurück.
    »Jetzt!« bellte Trevor, griff sich das Fernglas vom Hals des überrumpelten Touristen und hielt sich das Visier vor die Augen. Er fummelte, um die Schärfe richtig einzustellen, dann, als das Bild klar wurde, hielt er die Luft an.
    »Oh, mein Gott«, murmelte er leise vor sich hin.

    Constance wagte nicht, nach unten zu blicken. Anfangs hatte sie Angst gehabt, die Steinblöcke seien zu groß, zu glatt von Jahrhunderten Verschleiß und Witterung, um daran emporzuklettern, aber darüber hätte sie sich keine Sorgen machen müssen, denn es gab jede Menge Haltegriffe und Fußstützen. Das Problem war, dass sie schon jetzt den Sog der Pyramide spüren konnte, genau wie Iris gesagt hatte. Der innere Drang den Sprung in die Leere zu wagen — vielleicht war es auch einfach nur die Anziehungskraft der Erde — lenkte ihre Aufmerksamkeit zurück zum Boden, wo sie eigentlich hingehört hätte. Die Idee, mit Thomas, der in einer Plastiktüte an ihrem Gürtel hing, auf die Pyramide zu klettern, hatte sie spontan in dem Moment bekommen, als sie hörte, wie ihr Reiseführer über die Maße des Bauwerks und seine illustre Vergangenheit erzählte.
    Gregory hatte als Kind unter Höhenangst gelitten. Sie war gezwungen gewesen, jedes Mal seine Hand zu halten, wenn sie die Brücke überquerten, die unweit ihres Zuhauses über den Red River führte. Auf der ganzen Strecke war der Junge in Tränen aufgelöst gewesen und hatte es nicht ein Mal geschafft, nach unten auf die Boote zu schauen, die auf dem Fluss kreuzten, etwas, was er normalerweise von Herzen gern sah. Höhenangst war es aber nicht, was sie jetzt davon abhielt, nach unten zu blicken, sondern vielmehr die Angst, sie würde es dann nicht mehr bis ganz nach oben schaffen. Sie blickte empor zur Spitze der Pyramide und in den heißen, weißen Himmel, der sich darüber auftat. Was, wenn sie ihr Ziel nicht erreichte? Thomas, der Meister der unerfüllten Träume, zählte auf sie.
    Sie konnte den jungen Ägypter hören, der ihr weiter unten folgte, konnte hören, wie Gesteinsstücke, die er mit dem Auftritt seiner Stiefel löste, krachend in die

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