Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mehr als ein Sommer

Mehr als ein Sommer

Titel: Mehr als ein Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Eriksson
Vom Netzwerk:
Treppenstufen wieder hinauf und trat mit der Stiefelspitze die Tür auf. Als die Tür aufschwang, strengte Trevor sich an, in die dunkle Öffnung hineinzusehen, aber bevor sich seine Augen den veränderten Lichtverhältnissen anpassen konnten, wurde sie ihm auch schon wieder vor der Nase zugeschlagen. Joe ließ seinen Arm los, und Trevor sank zurück in den Dreck an der Wand.
    »Tee, Joe. Sie trinkt mit deinen Kumpanen Tee. Quatscht ihnen die Ohren voll mit wilden Geschichten, und ich sitze hier draußen in der heißen Sonne und mache mir Sorgen über... über Folter.«
    Verhör, das war das Wort, nach dem er gesucht hatte. Im wolkenlosen Himmel über ihnen bildete sich in weitem Bogen der Kondensstreifen eines Jets. »Ich wette, das ist mein Flugzeug. Auf dem Weg nach Nairobi. Eine simple Geschäftsreise. Falls dir jemals eine alte Frau mit einer rosafarbenen Perücke begegnen sollte, Joe, meide sie, meide sie wie die Pest.«
    In einer Stunde würde die Sonne am Horizont versinken. Trevor überlegte, was für Möglichkeiten ihm blieben, falls Constance vor Sonnenuntergang nicht wieder auftauchte. Zwei Wildhunde, die Ähnlichkeit hatten mit den Kojoten, die er gelegentlich beim Joggen am Bow River sah, allerdings größere Ohren hatten, schlichen jenseits der Pyramiden am Rand der Wüste herum. Die Aasfresser beäugten ihn mit wachen Augen und offenkundiger Intelligenz. Gruselig. Möglicherweise Schakale. Wie der Mann mit dem Hundekopf im Museum. Auf der Suche nach einer freien Mahlzeit, einer herumliegenden Leiche. Ihm behagte die Vorstellung nicht, in der Dunkelheit mit ihnen zu tun zu bekommen, außerdem hatte er gehört, dass es nachts in der Wüste sehr kalt wurde. Ganz anders als in der Prärie im Sommer, wo die Quecksilbersäule des Thermometers zur Mittagszeit oben anschlug und nur ein Geisteskranker versuchte, in der Nacht mit mehr als einem dünnen Laken zu schlafen. Er und Brent hatten immer wach gelegen in der stickigen Hitze von Tante Gladys’ Dachzimmer und nicht gewagt, sich zu rühren oder etwas zu berühren unter dem Gewicht der schwülen Luft. Oder sie waren aus dem Fenster nach draußen geklettert, hatten sich aufs Dach gehievt und hastig die Dachspitze erklommen, weil sie wussten, dass es eine Tracht Prügel geben würde, wenn Onkel Pat sie erwischte. Die Dächer von Regina hatten ihnen zu Füßen gelegen, die Innenstadt in der Ferne ein funkelndes Lichtermeer. Sie hatten sich nach einer Brise, nach einem Windhauch gesehnt, der ihren schweißnassen jungen Körpern etwas Abkühlung verschaffen würde. In klaren Nächten, wenn das Sternenzelt in pulsierendem Licht über ihnen erstrahlt war, hatten sie auf dem Rücken gelegen und Namen erfunden für die einzelnen Konstellationen, Sternschnuppen gezählt und sich Geschichten über Außerirdische ausgedacht. Trevor hatte im Flüsterton gesprochen, aus Angst vor Onkel Pats Wut und Tante Gladys’ unvermeidlichem »Was würde deine arme, tote Mutter bloß dazu sagen?«. Brent hatte leichtsinnig laut geredet. Er hatte das Schicksal herausgefordert, hatte Onkel Pat provoziert, ihn zu finden, ihn vom Dach herunterzuzerren und zu verprügeln. Brent hatte immer gelacht, wenn Onkel Pat ihn schlug. Dessen Gesicht war von der Anstrengung und Wut immer ganz rot geworden. Am Ende hatte er den Stock hingeworfen, war aus dem Raum gestakst und hatte nach seiner Frau gebrüllt, damit die versuchte, irgendwie mit dem Jungen fertig zu werden. Sie waren aber nie erwischt worden, zumindest nicht, wenn sie nachts auf dem Dach gelegen hatten. Trevor fragte sich, ob die Sterne in der Wüste in einer anderen Farbe erstrahlten und ob er Orion würde sehen können.
    Die Tür öffnete sich wieder. Ein anderer Wachmann, klein und von stämmiger Statur, klapperte die Treppenstufen herunter und baute sich vor Trevor auf. Wild gestikulierte er mit den Händen in Richtung der Segeltuchtasche, die neben Trevors Bein im Dreck lag, dabei quasselte er stakkatohaft auf Arabisch. Als Trevor die Tasche hochhob, riss der Mann sie ihm aus der Hand, drehte sich auf dem Absatz um und donnerte die Treppe wieder hinauf, die Tür hinter sich zuschlagend. Der Lärm verhallte in der Weite der Wüste. Die Touristen waren schon vor langer Zeit in ihrem voll klimatisierten Autobus davongefahren, der Wolken von Abgasen in die sengende Wüstenluft gespien hatte. Trevors Taxi war der einzige Wagen, der noch auf dem Parkplatz stand. Er hatte dem Fahrer zwanzig amerikanische Dollar dafür versprochen, im

Weitere Kostenlose Bücher