Mehr als ein Sommer
Notfall die ganze Nacht zu warten. Der Gauner hatte ihn auf vierzig hochgehandelt.
Zum dritten Mal wurde die Tür geöffnet. Einer der Männer trat nach draußen und bedeutete Trevor mit einer Gebärde hereinzukommen.
»Das wurde ja auch langsam Zeit«, murmelte er, als er an Joe vorbei die Treppen hinauf- und durch die offen stehende Tür ging. Es dauerte einen Moment, bis seine Augen sich an das gedämpfte Licht im Raum gewöhnt hatten. Die Einrichtung war ebenso trist wie die Wüstenlandschaft: ein grauer Tisch aus Metall, vier Metallstühle und ein Aktenschrank. Feiner Sand klebte in den Ecken der mit Khakifarbe gestrichenen Wände. Ein Ventilator, der zu schwach war, um für Erleichterung sorgen zu können, quälte sich, die Luft in dem engen Raum in Bewegung zu halten. Drei Männer kauerten wie Gespenster in einer Ecke. Von Constance fehlte jede Spur. Ihre Tasche lag offen neben der Teekanne auf dem Tisch. Einer der Männer, sein olivgrünes Gesicht glänzte vor Schweiß, zeigte auf den Fußboden, und vorsichtig trat Trevor einen Schritt vor, um etwas zu sehen.
Constance lag lang ausgestreckt auf dem Rücken, die Perücke war ihr quer über ein Auge gerutscht. Sie sah aus wie eine Leiche. Unerwartet schnürte sich Trevors Kehle zusammen; heiß drückte es hinter seinen Augen. »Ihr Schweine«, murmelte er und lief über den Boden, um sich neben sie zu knien. Seine Finger schwebten einige Zentimeter über ihrem Körper, während er versuchte, sich an das zu erinnern, was er im Sportunterricht in der zehnten Klasse über Wiederbelebung mittels Mund-zu-Mund-Beatmung gelernt hatte, seinerzeit ein peinlicher Witz. Puls überprüfen. Atmung. Er legte die Spitzen seiner Finger auf die Seite ihres Halses, konnte aber keinen Puls finden. Sein eigenes Herz schlug ihm wild in der Brust. Er griff nach ihrer Hand, legte zwei Finger auf die Innenseite ihres schmächtigen Handgelenks, das ihn an die zerbrechlichen Gliedmaßen eines Vögelchens erinnerte, und war erleichtert, als er ein schwaches Pochen verspürte. Der Ägypter, der neben Trevor von einem Fuß auf den anderen trat, rieb sich nervös mit seinen dunklen Fingern über die Stirn.
»Was habt ihr der Frau angetan?«, insistierte Trevor.
Der Mann zuckte mit den Achseln, zeigte auf die Tasche auf dem Tisch und brabbelte etwas auf Arabisch.
»Constance?« Mit zitternder Hand berührte Trevor ihr Gesicht in der Erwartung, dass sich die faltige Haut trocken und rau anfühlen würde, doch sie war zart wie die eines neugeborenen Kindes.
»Constance?«
Ihr Name drang wie aus weiten Fernen an ihr Ohr, wie ein Vogel, der so weit entfernt von einem selbst vorüberflog, dass man nur das Flattern der Flügel sehen konnte. Vielleicht war es einer ihrer Ehemänner, der gekommen war, um sie abzuholen, nur konnte sie nicht feststellen, um welchen es sich handelte.
»Constance!«
Dann erkannte sie die Stimme — Trevor, ihr neuer Freund vom Flughafen, und sie erinnerte sich, dass sie in Ägypten war. Zitternde Finger schoben ihr ihre Perücke aus dem Gesicht. Sie versuchte, die Augen zu öffnen. Sie hatte ihm etwas Wichtiges zu sagen, konnte sich aber nicht mehr daran erinnern, was das war.
»Constance. Ich bin’s, Trevor.«
Sie zwang sich, ein Auge einen Spaltbreit zu öffnen, vor ihr erschien sein Gesicht wie durch Nebel.
Er legte ihre Hand in seine. »Sind Sie okay?«
Sie nickte schwach, kaum in der Lage, ihren Kopf zu bewegen, wenngleich sie den Raum und sein Gesicht allmählich deutlicher erkennen konnte.
»Sind Sie verletzt?«, fragte er. »Haben die Männer Ihnen wehgetan?«
»Nein«, stöhnte sie.
Er half ihr, sich aufzusetzen, und sprach mit jemand anderem im Raum. »Holen Sie Wasser, Tee, irgendetwas, was sie trinken kann.«
Sie wandte den Kopf. Beim Anblick der drei Männer, die sich das Ganze im Hintergrund ansahen, erinnerte sie sich, was geschehen war. Ein Gefühl von Panik erfasste sie, und sie umklammerte Trevors Hand. »Die Jungs, Trevor. Meine Tasche ist leer. Sie haben die Jungs gestohlen.«
9
»Ich kann sie nicht hier zurücklassen«, lamentierte Constance, als die Ägypter sie und Trevor zu ihrem Taxi eskortierten. Sie hatte sich solche Mühe gegeben, und nun sollten ihre Reise und ihre Pläne ruiniert werden. »Ich werde hier nicht Weggehen«, beharrte sie. Doch sie hatte keine Chance gegen zwei große, schwere Männer mit Waffen, und Trevor war ihr keinerlei Hilfe.
»Die haben Ihnen nicht wehgetan?«, fragte er zum dritten Mal. »Sie
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