Mehr als ein Sommer
verborgen lag, wie er seinen Mund hielt, oder im Richtungsverlauf der Fältchen an den Außenseiten seiner Augen, ob die nach oben oder nach unten wiesen. Er rutschte näher. Ihre Augen weiteten sich, als er seinen Kopf in den Nacken legte und sie auf den Mund küsste, das erste Mal, dass er Angela überhaupt küsste, ohne Sex zu wollen. Er tauchte ein in den Duft ihrer Haut, spürte die winzigen Fältchen in ihren weichen Lippen und sog den warmen Atem, der aus ihren Nasenlöchern auf seine Wange strömte, in sich auf. Er hatte den inneren Drang, ihr irgendetwas zu geben, aber er wusste nicht, was.
Ohne jede Vorwarnung stand Angela plötzlich auf, und Trevor kippte vornüber auf die nunmehr freie Stelle auf der Matratze. Sie hüpfte auf dem einen Fuß, während sie sich den anderen Schuh anzog. »Es tut mir leid, Trevor. Ich muss gehen. Das hier... das hier ist zu merkwürdig, verstehst du. Es geht gegen all unsere Abmachungen.«
Trevor glitt vom Bett, um ihr ins Wohnzimmer zu folgen, doch sie drehte sich um und hielt ihm die flache Hand vor die Nase. »Nein, bitte, ich finde allein den Weg. Ich weiß, dass ich für das hier noch nicht bereit bin. Und ich glaube auch nicht, dass du es bist.« Sie riss ihren Mantel von der Garderobe an der Wand und warf die Tür hinter sich ins Schloss.
Trevor schob den Türriegel vor und lehnte seine Stirn gegen die Tür. Warum hatte er sie auf diese Art und Weise geküsst? Was hatte er sich dabei gedacht? Er hätte sie nicht bitten dürfen, über Nacht zu bleiben. Es ging gegen all seine Prinzipien. Er lief durch die dunkle Wohnung zum Wohnzimmerfenster und blickte — immer noch nackt — nach draußen auf die nächtliche Skyline von Calgary. Was wollte er? Sein Leben allein verbringen? Verdammt, er wusste nicht, wo sich der einzige Bruder herumtrieb, den er hatte, und sein einziger Freund war eine übergeschnappte alte Frau, die mit toten Ehemännern in der Tasche um die Welt reiste. Constance und ihre drei Ehemänner. Drei. In einem Menschenleben. Er hatte noch keine einzige feste Beziehung gehabt. Das, was ihn mit Angela verband, konnte er keine Beziehung nennen. Ihre Unterhaltungen beschränkten sich darauf, wie gut der Sex gewesen war oder wer beim Hockey den Schlagschuss hätte ausführen sollen. Angela hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Er konnte über nichts anderes reden als über Arbeit und Eishockey. Er war noch nicht so weit. Er würde gar nicht wissen, was er mit einer Ehefrau anfangen sollte.
Schließlich ging er zurück ins Schlafzimmer. Und jetzt würde Angela ihn nicht wiedersehen wollen. Sein ganzer Körper schmerzte bei dem Gedanken.
12
In den kommenden Wochen sammelte sich in Trevors oberster Schreibtischschublade ein ordentlich gestapelter Stoß von Briefen. Er hatte angefangen, sich auf diese Botschaften zu freuen, die ihn von überall auf der Welt erreichten. Die Seiten waren stets gespickt mit interessanten Einzelheiten über ungewöhnliche Menschen und exotische Orte, und er hatte Spaß an den humorvollen Anspielungen auf ihre Ehemänner. Eines Samstagnachmittags Ende Mai, als er sich ganz besonders einsam und nicht so recht auf der Höhe fühlte, holte er die Briefe aus der Schublade und las sie noch einmal, einen nach dem anderen. Statt ihn aufzuheitern, hinterließen sie in ihm aber nur ein Gefühl von Schuld und Bedauern. Constance schaffte es jedes Mal, etwas zu sagen, was an seinen innersten Gefühlen zerrte.
5.April 1985
Benares, Indien
Lieber Trevor,
am vergangenen Dienstag hat mir einer der Bettler im Tempel von Pune meine Zukunft vorausgesagt. Es gibt in meinem Leben einen geheimnisvollen Mann, der mir einen ungeheuerlichen Gefallen erweisen wird. Ich wusste es sofort. Sie haben Michael die Ersatzteile geschickt. Nicht wahr, mein Freund? Ich habe auch hier schon kaputte Traktoren gesehen. Aber ich weiß nicht, wem sie gehören, sonst würde ich Sie bitten, noch mehr Ersatzteile zu schicken. Sie sollten mal mit den Leuten sprechen, die sie herstellen, und ihnen sagen, dass sie Probleme mit Bruchstellen haben. Letzte Woche sah ich einen, auf dem sich die Affen tummelten. Ein Elefant wäre in Indien viel nützlicher; die verbrauchen kein teures Benzin und haben niemals platte Reifen.
Ich besuche gerade die heilige Stadt Benares. Die Hindus glauben, wenn sie nach ihrem Tod an den Ufern des Ganges verbrannt werden, befreie sie das aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburt. Die Sterbenden strömen zu Tausenden in die Stadt. Pilger
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