Mehr als fromme Wuensche
sind das jedes Jahr in unserem Land. Abschiede, Trauer und Leid, die ihre Zeit brauchen und ihren Raum.
Viele verdrängen das gerne. Sie zünden lieber ganz schnell Kerzen an, besuchen irgendwelche Adventsausstellungen oder gehen auf Shoppingtour. Aber es ist gut, auch die so genannte „stille Zeit“ zu würdigen und sie auszuhalten. Es geht darum, abzuwarten, innezuhalten. Es tut uns gut, wenn wir uns den Fragen von Sterben und Tod stellen.
Für den Ewigkeitssonntag steht die Bibellesung im Buch der Offenbarung. Dort heißt es: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein. Noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein: denn das Erste ist vergangen.“ (21,4) Die Bibel drückt hier in wunderbarer Weise die Hoffnung auf Gottes Zukunft aus. Gewiss, unser Leben ist begrenzt, das müssen wir wahrnehmen. Dass Menschen sterblich sind, ist nicht nur irgendeine Wahrheit, das betrifft uns alle ganz persönlich. Aber es muss uns nicht deprimieren oder handlungsunfähig werden lassen! Wir können unseren Frieden mit unserer eigenen Sterblichkeit machen, wenn wir uns Gott anvertrauen. Dann können wir unserSterben und das Leben, das danach kommt, getrost in Gottes Hand legen und uns jetzt und hier in Verantwortung stellen lassen.
Das ist mir wichtig: Auf Gottes Zukunft vertrauen ist gerade keine Weltflucht, sondern macht frei für die Welt. Es macht auch frei, uns den Kranken, Leidenden und Sterbenden zuzuwenden. Das habe ich gerade selbst erfahren: Wird jemand ernsthaft krank, erschrecken alle, sie wissen nicht, wie sie reagieren sollen, zucken zurück. Dabei ist das doch die Normalität für uns alle! Unser Leben ist verletzlich, wir müssen sterben. Wer aber krank wird, wer mit dem Tod konfrontiert ist, passt so gar nicht in die Welt der Leistungsträger und Durchsetzungsfähigen, der Erfolgsgewohnten und Medienhelden. Das wirkt offenbar wie eine Beleidigung des schönen Scheins, ein Makel, eine Schwäche, obwohl es doch einfach zur Normalität des Lebens gehört.
Vielleicht kann der Ewigkeitssonntag uns auch dazu bringen, offener auf Kranke und Sterbende zuzugehen. Gerade in der Begleitung von Pflegebedürftigen und auf dem letzten Weg braucht es Menschen mit Geduld und Liebe und Zeit. Genau das haben auch die Trauernden nötig. Es ist noch nicht gleich Advent für sie, sie wollen ihrer Toten gedenken an diesem Wochenende, Raum finden für ihre Trauer. Wir sollten sie ihnen lassen und mit ihnen gemeinsam diese Zeit finden. Und dann werden wir eine Adventskerze anzünden. Aber erst dann, nach der „stillen Zeit“, nach der Zeit der Trauer und des Totengedenkens, wenn wir uns vorbereiten auf die Ankunft des Gotteskindes.
Das Kainsmal
„ D ie Kinder des Kain“ heißt ein Musical, das unlängst in unseren Kirchen aufgeführt wurde. Darin ist Kain alt geworden, schuftet auf dem Acker, und es fällt ihm noch immer schwer, sich mit seiner Schuld auseinander zu setzen. Er hat seinen Bruder Abel ermordet. Gott straft ihn, er wird hart den Acker bearbeiten müssen, keine Ruhe finden, „unstet und flüchtig“ bleiben, wie die Bibel sagt. Und er hat Angst vor der Rache anderer Menschen. Aber davor schützt Gott ihn. Im ersten Buch Mose heißt es: „Und der Herr machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände.“ (1. Mose 4,15 )
Bis heute ist diese Geschichte bewegend. Wie gehe ich um mit eigener Schuld, wie mit der Schuld anderer? Und wie wird der Kreislauf der Gewalt durchbrochen? Kain muss seiner Schuld ins Gesicht sehen. Und diejenigen, die ihn anschauen, wissen um seine Schuld. Da gibt es kein Verleugnen und kein Entrinnen. Aber es gibt auch keine Rache, sondern ein Leben nach der Tat, das ein Leben mit der Tat ist. Gott schützt den Täter. Doch das wird erst möglich, nachdem der seine Schuld erkannt hat.
Mit Schuld umgehen, ist ein schweres Thema. In Niedersachsen bewegt viele das Transrapidunglück, bei dem im September 2006 23 Menschen ums Leben kamen. Wie konnte das passieren, wer hat versagt, wo sind die Schuldigen? Und schon beginnen die Prozesse, die Schuldzuweisungen, die Klagen auf Schadenersatz. Wie mag es den Menschen gehen, die verantwortlichsind. Ja, sie hätten in der Leitstelle wissen müssen, dass der andere Wagen auf der Schiene war. Ja, wahrscheinlich hätten auch aus den vorherigen Unfällen Konsequenzen gezogen werden müssen. Es wird am Ende sicher Schuldige geben. Aber niemand von uns kann ernsthaft annehmen, dass sie
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