Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
ist das ein Skandal. Altersarmut ist bitter und aus Scham wird oft nicht darüber gesprochen, allzu oft bleibt sie unsichtbar. Doch wir sollten sie sichtbar machen, hinsehen, eine angemessene Grundsicherung einklagen, die Alten einladen, mit ihnen reden, zuhören, erzählen lassen, Feste feiern! So kann es nicht bleiben, denn so ehren wir Vater und Mutter nicht! Wenn die Politik jetzt darüber debattiert, ob die Altersrente von Menschen, die 40 Jahre berufstätig waren, durch Zuschuss auf 850 Euro angehoben wird, ist das nur ein kleiner Schritt. Was ist mit all jenen – und überwiegend handelt es sich dabei um Frauen! –, die nicht berufstätig waren, aber sehr wohl gearbeitet haben, weil sie Kinder erzogen und Alte gepflegt haben?
Ehrenamt oder Freiwilligendienst
Zum anderen kann die Würde derer, die auf Pflege, Besuch, Zeit angewiesen sind, ohne ehrenamtliches Engagement nicht gewahrt werden. Deshalb habe ich Hochachtung vor Organisationen wie den „Grünen Damen“ – dabei handelt es sich um mehr als 11000 Menschen, die überall im Land Menschen in Krankenhäusern und Altenheimen begleiten, besuchen und unterstützen. Ich denke an die „Tafeln“, die ehrenamtlich organisieren, dass Lebensmittel, die in Supermärkten nicht mehr verkauft werden können, aber noch genießbar sind, an Menschen verteilt werden, die auf Unterstützung angewiesen sind. Ich denke an Schuldnerbegleiter, die Überschuldeten, die auf einen Platz in der Schuldnerberatung warten, helfen, schon einmal die Papiere zu sortieren, die Gläubiger zu beruhigen, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Ich denke an ehrenamtliche Großelternbörsen, bei denen Ältere junge Familien entlasten, zum Teil auch organisiert in Projekten wie „Wellcome“. Und wie viele mehr brauchten Unterstützung! Etwa Familien, bei denen der Vater eine Gefängnisstrafe absitzen muss, die ausgegrenzt sind, in denen vor allem die Kinder seelische Zuwendung brauchen. Da soll niemand sagen, er wisse nicht, was er für mehr Miteinander in dieser Gesellschaft tun könne. Es gibt für jede Gabe einen Ort, für jedes Engagement eine Notwendigkeit. Das Gewebe einer Gesellschaft wird durch Menschen zusammengehalten, die nicht nur fordern, was der Staat zu tun hat, sondern sich persönlich mit Liebe und Zuwendung einbringen und so Teil eines Segenskreises von Geben und Nehmen sind. Denn das ist doch deutlich: Es ist wunderbar, wenn ich mich einbringen kann. Und es ist wunderbar, wenn ich um Zuwendung nicht betteln und mich schämen muss, sondern weiß, die andere macht es aus tiefstem Herzen gern. So sieht die solidarische Gemeinschaft aus, die die Bibel beschreibt, eine Kontrastgesellschaft zu all dem Hauen und Stechen, dem Ringen um Platz 1. Barmherzigkeit ist ein biblisches Gebot, eine staatliche Verpflichtung und eine Anforderung an die Zivilgesellschaft zugleich. Wir sind nicht die USA, die all das auf den privaten Sektor verschiebt, darüber bin ich froh. Aber staatliche Leistung und zivilgesellschaftliches Engagement müssen zusammenwirken, auch in unserem Land.
Wir können nicht einfach wegschauen, wenn Alte, Behinderte, Kranke an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Das tun im Gleichnis der Priester und der Levit. Der Samariter jedoch schaut hin, engagiert sich, ja, zahlt sogar! Insofern ist das Gleichnis hochaktuell: Es geht um unsere Zeit, unsere Aufmerksamkeit, es geht auch um Geld und um Ausstattung. Einmischung ist gefragt, damit der Segenskreislauf der Barmherzigkeit intakt bleibt.
Wie sieht es denn aus mit unserem Zeitkontingent? Habe ich wirklich keine Zeit, nebenan nachzufragen, ob Hilfe benötigt wird? Wenn der bundesdeutsche Durchschnittsbürger täglich 223 Minuten Fernsehen schaut, kann doch die Frage aufgeworfen werden, ob er zumindest einmal zehn Prozent davon für den Nachbarn einsetzt, das wären 22,3 Minuten. Das würde fast für die „große Morgenwäsche mit Toilettengang“ reichen, aber zumindest für hingehen und zuhören.
Da geht es übrigens nicht nur um die Alten! Wenn mitten in Leipzig in einem belebten und beliebten Stadtteil eine alleinerziehende junge Hartz-IV-Empfängerin stirbt, niemand das bemerkt und ihr kleiner Sohn allein und hilflos in der Wohnung des Mehrfamilienhauses verdurstet, wird auf bedrückende Weise die Verödung der Beziehungen in unserem Land deutlich. 33
Mir geht es darum, bewusst den Segenskreislauf der Barmherzigkeit zu erkennen. Dieser steht dafür, dass es im Leben Phasen gibt, in denen ich auf andere
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