Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
wohl gehe unser Leben lang, so wie es heute ist. Und das wird unsere Gerechtigkeit sein, dass wir alle diese Gebote tun und halten vor unserem Gott, wie er uns geboten hat“ (6,20).
Die Gerechtigkeit der Menschen ist in dieser Tradition des hebräischen Teils der Bibel an das Halten von Gottes Geboten gekoppelt, und sie wird begründet mit der entscheidenden Befreiungserfahrung : dem Aufbruch der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten. Das Halten der Gebote, das Einhalten der Erwartungen Gottes ist die Grundlage der Freiheit, die die Israeliten durch den Auszug aus Ägypten erlangt haben. Eine Gemeinschaft der Freien kann aber nur bestehen, wenn es in ihr gerecht zugeht. Das ist die Grundlage dafür, dass Gerechtigkeit als Gemeinschaftstreue zu verstehen ist. Gerecht verhält sich, wer sich treu zu der Gemeinschaft verhält, in der er lebt, und treu zu Gott, der diese Gemeinschaft ins Leben ruft. Der Einzelne trägt etwas zu dieser Gemeinschaft bei, und die Gemeinschaft verhält sich mit ihm solidarisch, wo er auf die Gemeinschaft angewiesen ist. Die Beziehung ist wechselseitig: Nie kann es gerecht sein, dass der Einzelne sich auf Kosten der Gemeinschaft bereichert, noch kann es gerecht sein, dass die Gemeinschaft den Einzelnen unterdrückt. Der hebräische Begriff zedeka , den wir mit „Gerechtigkeit“ übersetzen, meint weniger ein Rechtsverhältnis oder Gesetze, sondern umspannt im hebräischen Denken das gesamte Leben in einem Gemeinschaftsverhältnis. Es geht um das Bewusstsein, aufeinander angewiesen zu sein.
Das finde ich einen sehr interessanten ersten Aspekt, der mir hilft, wenn wir heute nach Gerechtigkeit fragen. Es geht weniger darum, dass alle das Gleiche bekommen, sondern darum, wie wir gemeinsam leben wollen. Ob wir einen Blick füreinander haben, auch da, wo wir verschieden sind. Ob wir in den großen Nöten des Lebens, die uns durch Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Armut treffen, auf die Gemeinschaft zählen können.
In der Thora, den fünf Büchern Mose, geht es um Recht und um die Einhaltung von Gerechtigkeit. Das ist die Anforderung an die Menschen im Gottesbund. Doch schon damals scheitern die Menschen immer wieder an den Ansprüchen Gottes wie an den eigenen. Es sind die großen Propheten, die das immer wieder anprangern. Etwa Jesaja, wenn er schreibt: „Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit“ (5,7). Und der Gerechtigkeitsprophet Amos verbindet die Kritik an der Gesellschaft sogar mit Kritik an der „offiziellen“ Religion: „Ich hasse eure Gottesdienste (…) Es ströme wie Wasser das Recht und die Gerechtigkeit wie ein unversiegelter Bach!“ (5,23–24).
Die fast dreitausend Jahre alten Texte des Alten Testamentes bringen ganz elementar den Glauben und das Vertrauen auf Gott mit Gerechtigkeit zusammen. Ein Mensch kann nicht an Gott glauben, ohne sich wie ein Gerechter beziehungsweise eine Gerechte zu verhalten und sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Gerechtigkeit ist Teil der Gottesbeziehung. Das ist wichtig festzuhalten, etwa wenn gefordert wird, die Kirche oder ihre einzelnen Vertreterinnen und Vertreter sollten sich auf „das Eigentliche“ konzentrieren. Wenn damit der Gottesdienst gemeint ist, kann dieser aber nicht stattfinden, ohne zu schauen, wie es den anderen und den Armen geht.
Ein zweiter Hinweis der Bibel ist also: Gerechtigkeit ist nicht etwas, das zwischen verschiedenen Interessenlagern ausgehandelt werden könnte, sondern etwas Vorgegebenes, das den Menschen Rechte zuerkennt, ohne dass sie hierfür selbst etwas leisten müssten. Der griechische Teil der Bibel erweitert mit den Kategorien von Liebe und Güte den Gerechtigkeitsbegriff noch einmal. Lesen wir einige der großen Gerechtigkeitsgleichnisse Jesu, so wird deutlich, wie eng Glaube an Gott und Gerechtigkeit zusammengehören. Eines ist das von den Arbeitern im Weinberg:
Denn das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus
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