Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
angewiesen bin, und Phasen, in denen andere auf mich zählen können. Wenn ich in meinen Zeiten der Stärke gebe, kann ich darauf vertrauen, dass ich in meinen Zeiten der Schwäche Unterstützung finde. Das ist Segen: wenn man sich in einer Gemeinschaft gehalten weiß, die niemanden fallen lässt, weil darin jeder auf den anderen achtet. Es geht darum, miteinander zu leben, statt einander aus dem Weg zu gehen. Verantwortung statt Egomanie ist gefragt. Wenn das der Maßstab ist, wird die gerechte Welt Gottes, auf die wir hoffen, für uns zum Bauplan der Welt.
Übrigens fasziniert mich immer wieder, wie biblische Texte, die uns sehr vertraut erscheinen, in neuem Licht erscheinen können, wenn wir sie mit Blick auf unsere Alltagserfahrung heute betrachten. Vor einigen Jahren war der Terminplan bei einem meiner Besuche in der Partnerkirche der hannoverschen Landeskirche in Äthiopien sehr eng. Auf jeden Fall sollte ich aber die Hermannsburger Missionsstationen im Westen besuchen. Dafür wurde ein kleines Flugzeug organisiert. Der stolze Captain Solomon zeigte mir am Abend vor dem Abflug seine viersitzige Maschine. Der Anblick löste eine gewisse Skepsis in mir aus – das merkte er! Ja, sie sei alt, sagte Captain Solomon. Vor vielen Jahren habe er sie aus den USA geholt. Zudem erklärte er, auf der Piste in Ayra, unserem Zielort, sei seit vier Jahren kein Flugzeug mehr gelandet, das sei also nicht der Kennedy-Airport. Aber ich sollte ihm und dem Flugzeug vertrauen, sie würden mich schon heil runterbringen. Meine Begeisterung war leicht begrenzt …
Während des Fluges sagte mir Captain Solomon, Lukas 10 sei das Gleichnis für sein Flugzeug. Ich müsse verstehen, dass der Samariter nichts gewesen wäre ohne sein Lasttier. Der Esel hätte den Verletzten schließlich transportiert. Und ihn ärgere, dass das nie erwähnt würde. Er fände, sein Flugzeug sei wie dieses Lasttier – bereit zum Dienen, unentbehrlich. Aber nie würde wirklich wahrgenommen, welch wichtige Rolle es spielt.
Das hat mich beeindruckt. Eine ganz neue Sicht der Dinge! Was wäre der Samariter ohne sein Lasttier! Welcher Exeget wäre je darauf gekommen? In der Tat, Barmherzigkeit ist nicht nur ein beliebiges Handeln und schon gar kein herablassendes, sondern es geht auch um Professionalität, Ausstattung, sinnvolles Tun. Nicht nur, dass wir für andere eintreten, sondern auch wie und mit welchen Mitteln ist Teil der Herausforderung. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter ist auch nach 2000 Jahren ganz offensichtlich noch nicht ausgelesen.
Alle kennen dieses Gefühl, dass etwas ungerecht ist. Es ist wie ein tiefes Unbehagen. Schon bei Kindern: „Das ist nicht gerecht! Sie hat mehr als ich! Er wird bevorzugt!“ Auch bei Erwachsenen sitzt das Empfinden tief: Ungerecht, dass die Schleckermitarbeiterinnen vor dem Nichts stehen, Familie Schlecker aber weiterhin in einer Villa wohnt. Ungerecht, dass eine gut verdienende Mutter das volle Kindergeld erhält, es bei einer arbeitslosen Mutter aber komplett auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet wird. Ungerecht, dass Frauen in unserem Land im Durchschnitt 22 Prozent weniger verdienen als Männer. Ungerecht, dass Kinder aus armen Familien in der Regel einen schlechteren Schulabschluss machen als Kinder aus reichen Familien. Ungerecht, dass ich den Arbeitsplatz nicht bekommen habe, sondern der andere Bewerber. Ungerecht, dass der Vorstandsvorsitzende von VW, Martin Winterkorn, 2011 über 17,4 Millionen Euro verdient hat, davon 11 Millionen Euro als Bonuszahlung. „17,4 Millionen Euro sind umgerechnet rund 2000 Euro pro Stunde – 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag.“ 34 Eine gute ausgebildete Erzieherin hat dagegen nur ein Monatsbruttogehalt von 2200 Euro – und erfüllt eine so wichtige Aufgabe! 35
Gerechtigkeit als Beziehungsgeschehen
Was sagt die christliche Tradition zum Thema? Die Bibel versteht Gerechtigkeit als ein Verhalten, das Gott von den Menschen erwartet, und sieht sie zuallererst als eine Frage der Beziehung. In einer wunderbaren Klarheit macht ein Text aus dem 5. Buch Mose deutlich: „Wenn dein Kind dich morgen fragt: was sind das für Vermahnungen, Gebote und Rechte, die euch der Herr, unser Gott, geboten hat? So sollst du deinem Kind sagen: Wir waren Knechte des Pharao in Ägypten, und der Herr führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand (…) und führte uns von dort weg, um uns hineinzubringen und uns das Land zu geben, wie er unseren Vätern geschworen hatte (…) auf dass es uns
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