Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
für ein Land in der Tat eine Herausforderung. So wurde auf dem sogenannten Weltaltengipfel in Madrid von einem „age-quake“ – vom Altersbeben – gesprochen. Für die Alten keine ermutigende Wahrnehmung, stets nur als Last und Belastung gesehen zu werden.
Parallel dazu greift geradezu eine Ideologie des Jung- und Gesundseins um sich. Eine ganze Ausgabe des Wochenmagazins „Der Spiegel“ war der Frage gewidmet, wie dem Altern äußerlich Einhalt zu gebieten sei. Da gibt es Facelifting und Fettabsaugen, der Mensch kann sich Nervengifte unter die Falten spritzen oder Silikon an den unterschiedlichsten Stellen einpflanzen lassen. Schöne neue Welt. Alle Operationen werden aber nicht verhindern, dass Menschen in unserem Land alt werden, dass es langsamer geht und dass sie an der Supermarktkasse nicht locker die EC-Karte zücken, sondern mühsam versuchen, Geldstück um Geldstück zusammenzusuchen. Dafür gibt es wenig Geduld in unserem Land. Der Mann mit dem Rollator wird als Verlangsamer gesehen. Die Frau, die nicht so schnell in die U-Bahn steigen kann, verzögert den Betriebsablauf. Alte werden nicht mit Respekt gewürdigt, sondern sind Störfaktoren in einer beschleunigten Zeit.
Als Kind bin ich mit den Erzählungen der Alten groß geworden. Sie haben sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Wie es beispielsweise war auf der Flucht aus Pommern. Darüber gab es viele verschiedene Geschichten. Und ich habe im Leben so manches Mal gedacht: „Wenn wir die Flucht aus Pommern überstanden haben, werde ich das wohl auch durchstehen.“ Das ist einer der Aspekte des kollektiven Gedächtnisses, das bei vielen Nationen von Ureinwohnern noch wesentlich intensiver zu finden ist. Die „Traumpfade“ der Aborigines in Australien etwa sind so eine Weitergabe von Erfahrung. Ihre Lebenssituation will ich auf keinen Fall romantisieren – wie es ihnen heute geht, habe ich selbst gesehen. Aber einige bewahren die Würde der Ahnen, das Gedächtnis ihrer Kultur und gewinnen dadurch eine eigene Haltung. Sie hängen an den Lippen der Alten, die noch erzählen können, und tradieren das Gehörte weiter. In so mancher Kultur war es das Erzählen und nicht die Schriftform, die weitergegeben hat, was Menschen zum Leben brauchen, was ihnen Wurzeln, Halt und Haltung gab.
Zum einen ist es natürlich positiv, dass die Menschen in unserem Land im Alter heute zunehmend selbstständig bleiben. In Altenheime kommen aber oft nur noch Demenzkranke und wirklich Pflegebedürftige. Das Konzept eines Altenheimes, in dem Gemeinschaft erfahren wird und miteinander das Älterwerden erlebt wird, tritt in den Hintergrund. Die Frage ist, ob wir neue Konzepte entwickeln. Erste Alten-WGs entstehen, Mehrgenerationenhäuser bieten eine Chance, aber vielleicht ja schlicht auch die gute alte Nachbarschaft, bei der jemand fragt, wie es dem anderen geht, ein Kind die alte Frau im Rollator begleitet oder eine Nachbarin dem alten Mann vom Einkaufen etwas mitbringt. Ich kann dem ehemaligen Präsidenten des Diakonischen Werkes, Jürgen Gohde, nur zustimmen, der gesagt hat: „Was muss eigentlich noch passieren, bis die Verantwortlichen verstehen, dass Altenpolitik kein Thema von Sozialromantikern ist, sondern das zentrale gesellschaftspolitische Thema?“ 32
Wir können daran etwas ändern, jeden Tag. Du kannst die ältere Dame von nebenan besuchen, vielleicht sogar mit deinen Kindern. Und sie darf erzählen und wir können zuhören. Als in dem Haus, in dem ich in Berlin lebe, eine Wohnung frei wurde, hieß es: „Die Dame hat hier seit 1926 gewohnt und ist jetzt in ein Altersheim gezogen.“ Ich konnte es nicht fassen! Und ich habe mich über mich selbst geärgert, dass ich sie nicht gefragt habe, solange es noch möglich war, wer so alles hier gewohnt hat. Das habe ich leider versäumt in der kurzen Zeit, in der wir uns ab und an im Flur begegnet sind. Inzwischen bin ich entschlossen, offensiver zu fragen und nicht ständig an den Älteren in meiner Straße vorbeizurauschen, weil ich es eilig habe. Und ich sage auch an der Kasse im Einkaufsladen, wenn die ersten unruhig werden, weil ein älterer Mensch ihnen nicht schnell genug ist an der Kasse: „Kein Stress, ich hab Zeit!“ Wir laufen so anonym und schnell durch die Stadt, dass es ungewöhnlich ist, jemanden anzusprechen. Christinnen und Christen aber kennen die Bedeutung der Achtsamkeit.
Dabei geht es auch um politische Forderungen. Wenn eine Frau im Alter heute im Durchschnitt 500 Euro Rente bezieht,
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