Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
auch nicht alle dasselbe verdienen, aber alle müssen sich als Teil des Ganzen fühlen können. Gerechtigkeit ist keine undefinierte Forderung, sondern, noch einmal, ein Beziehungsgeschehen, an dem ich beteiligt bin.
Wenn wir dem nachgehen, könnte der erste biblische Hinweis klarmachen: Lasst uns nicht in Egomanie verfallen, sondern den Blick füreinander behalten. Das heißt konkret, dass ich mich für diejenigen engagiere, die nicht mithalten können, weil sie krank sind, schlecht ausgebildet, depressiv oder schlicht verzweifelt. Der zweite macht deutlich: Niemand soll darum betteln müssen, „etwas abzubekommen“, sondern es geht um Rechte und um Würde. Dafür will ich erhobenen Hauptes einstehen. Wer will schon Mitleid? Das ist schambesetzt. Die Zusage von Recht und Würde ist etwas völlig anderes. Und es geht um eine Gemeinschaft, die miteinander leben will, das ist die dritte Dimension. Das heißt, Gerechtigkeit ist ein dynamischer Begriff, nicht ein statischer.
Aber wie sieht es aus, beispielsweise an unseren Schulen? Werden benachteiligte Jugendliche ausreichend gefördert? Können Lehrerinnen und Lehrer sich dem Einzelnen widmen, oder sind sie in ein System eingespannt, in dem einfach nur abgearbeitet wird, was vorgegeben ist, und keine Zeit bleibt für Individualität? Ein allererster Beitrag zur Gerechtigkeit ist die Veränderung der Schule. Ich habe das erlebt, als ich ein Jahr in den USA sein konnte (1974/75). Meine Leistungen im Fach Mathematik waren bis dahin immer an der Grenze zu „mangelhaft“. Dort war ich in einem Kurs mit sieben (!) Schülerinnen und Schülern. George Norton Stone war unser Lehrer. Er wohnte auf dem Campus, und wir konnten auch nachmittags mit Fragen zu ihm kommen, wenn wir die Hausaufgabe nicht begriffen hatten. Als ich zurückkam, lagen meine Noten zwischen gut und sehr gut. Gerechtigkeit fängt da an, wo wir bereit sind, in die Jungen zu investieren, und individuelle Chancen für junge Leute voranzutreiben.
Eine vierte Dimension der biblischen Sicht von Gerechtigkeit ist die, dass der Mensch vor Gott niemals ein gerechtes Leben wird führen können, eines also, das allen Geboten Gottes gerecht wird, somit gerechtfertigt ist. Der Apostel Paulus schreibt: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben“ (Röm 3,28). Aber das bedeutet nicht, dass der Mensch bei allem Wissen um eigenes Scheitern und Versagen nicht doch „gute Werke“ tun will. Sie sind aber nicht mehr Teil des Ringens um Anerkennung bei Gott, sondern Folge der Zusage Gottes. Es war das Thema, das auch Martin Luther so entscheidend umtrieb, dass Gerechtigkeit dem Menschen zugesprochen wird. Nicht weil der Mensch alle Gebote Gottes erfüllt und gute Werke tut, findet er vor Gott Gnade, sondern Gott sagt dem Menschen, der an ihn glaubt, die Rechtfertigung des Lebens zu.
Mehr als Geld: Beteiligung!
Eine Konsequenz aus dem Blick in die Bibel ist, dass es bei Gerechtigkeit nicht einfach darum geht, Güter und Geld zu verteilen, sondern darum, dass Menschen ermöglicht wird, sich zu beteiligen, dabei zu sein, mitzumachen und nicht ausgegrenzt zu werden, ganz gleich, wie leistungsfähig sie sind. Für viele macht sich Gerechtigkeit heute vor allem am Geld fest. Sicher ist Geld ein wichtiger Faktor bei dem bitteren Gefühl, ausgeschlossen zu sein von dem, was die Gemeinschaft erlebt. Da erzählt mir eine Mutter, dass die Klasse ihres 15-jährigen Sohnes einen Auslandsaufenthalt geplant habe. Sie konnte das erforderliche Geld nicht aufbringen. Die Klasse wollte den Jungen jedoch unbedingt dabeihaben und gemeinsam haben alle Beteiligten das notwendige Geld aufgetrieben. Am Ende wollte er trotzdem nicht mitfahren, weil er sich zu sehr geschämt hat, dass andere für ihn bezahlen. Selbst als der Lehrer bei der Mutter anrief, ließ sich ihr Sohn nicht umstimmen. Er blieb als Einziger zu Hause …
Es geht auch darum, dass Menschen befähigt werden und die Chance haben, sich mit ihren Gaben einzubringen und Wertschätzung zu erfahren, auch wenn ihre Möglichkeiten begrenzt sind. Ein Beispiel ist für mich eine Jugendwerkstatt, in der Fahrräder repariert werden. Es ist manches Mal mühsam für die Ausbilder, den Jugendlichen so grundlegende Dinge wie Verlässlichkeit und Engagement mitzugeben. Aber es ist ein Gefühl von Würde vorhanden: „Du kannst etwas! Du leistest einen Beitrag! Du verdienst dir deinen Unterhalt!“
Damit hängt Bildung zusammen,
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