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Mehr als nur ein halbes Leben

Mehr als nur ein halbes Leben

Titel: Mehr als nur ein halbes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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Studienschulden, die Hypotheken. Und ich weiß nicht, wie lange deine Mutter ihr Leben für uns in die Warteschleife legen wird. Wir sollten uns vielleicht bald überlegen, das Haus in Vermont zu verkaufen.«
    »Oder vielleicht sollten wir dieses hier verkaufen«, schlage ich vor.
    »Und wo würden wir dann leben?«, fragt Bob. Er geht zwar auf mich ein, aber in einem herablassenden Ton.
    »Vermont.«
    Er sieht mich an, als hätte ich vorgeschlagen, wir sollten eine unserer Nieren verkaufen. Doch mir scheint das eine durchaus vernünftige Idee zu sein, eine, die in meinem Kopf zunächst nur bruchstückhaft und verschwommen war, in letzter Zeit aber immer deutlicher Gestalt annimmt. Unsere Hypothek für das Haus in Welmont und unsere hiesigen Lebenshaltungskosten sind unsere größten Kostenpunkte. Es könnte über ein Jahr dauern, einen Käufer für unser Haus in Vermont zu finden, aber in Welmont sind die Immobilienpreise selbst in der derzeitigen Wirtschaftslage stabil geblieben. Unser Haus hier ist ein bescheidenes Haus mit vier Schlafzimmern, und die meisten Leute, die etwas in Welmont suchen, wollen mehr Platz haben, aber das Haus ist gepflegt und gut vorzeigbar. Es würde vermutlich sofort einen Käufer finden.
    »Wir können doch nicht in Vermont leben«, sagt Bob.
    »Warum denn nicht? Die Lebenshaltungskosten dort belaufen sich, verglichen mit hier, praktisch auf null.«
    »Weil es dort nichts gibt.«
    »Dort gibt es jede Menge.«
    »Unsere Jobs gibt es dort nicht.«
    »Wir würden schon Jobs finden.«
    »Als was?«
    »Ich weiß nicht, ich habe noch nicht darüber nachgedacht.«
    Aber das will ich tun. In Vermont, dem Königreich des Nordostens, ist nicht viel los. Es ist nicht das Amerika der Unternehmenswelt. Es ist das ländliche Neuengland und nur dünn besiedelt – hauptsächlich von Künstlern, Skifahrern, Mountainbike-Fans, Ex-Hippies, Farmern und Rentnern.
    »Ich könnte ein Café eröffnen«, kommt mir eine Idee.
    »Wie bitte?«
    »Ein Café. Das B&C’s hat dichtgemacht, und Cortland braucht ein gutes Café.«
    »Vielleicht hat das B&C’s dichtgemacht, weil sich in Cortland ein gutes Café nicht halten kann.«
    »Vielleicht hatte es einfach keine gute Geschäftsleitung.«
    »Das ist eine lächerliche Geschäftsidee.«
    »Was ist denn so lächerlich daran? Ist Starbucks ein lächerliches Geschäft?«
    »Du willst also ein Starbucks eröffnen?«
    »Nein, ich …«
    »Du willst mit Starbucks konkurrieren?«
    »Nein.«
    »Du willst der Juan Valdez von Cortland County sein?«
    »Sehr witzig.«
    »Hier ist gar nichts witzig, Sarah. Ich liebe Vermont auch, aber wir sind zu jung und zu ehrgeizig, um die ganze Zeit dort zu leben. Das ist ein Ort für den Urlaub. Unser Leben ist hier. Unsere Jobs sind hier.«
    Ich verstehe nicht, wieso sie das sein müssen.
    »Weißt du, wir könnten hier beide bald ohne Job dastehen. Ich verstehe nicht, wieso wir uns in Vermont nicht wenigstens umsehen können.«
    »Noch mal: Um was zu machen? Willst du bei Mary’s Maple Syrup Company die Personalabteilung leiten?«
    »Nein.«
    »Soll ich am Skihang Tickets für den Lift verkaufen?«
    »Nein. Ich weiß auch nicht, was es dort gibt.«
    »Dort gibt es nichts.«
    »Das weißt du doch nicht. Wir haben uns noch nicht mal umgesehen.«
    »Das heißt, du willst deinen Job bei Berkley ausschlagen und dich nach einem Job in Vermont umsehen?«
    »Ja.«
    »Dieses Gespräch ist doch völlig verrückt.«
    »Vielleicht.«
    »Nein, das ist es sicher.«
    »Okay, dann führen wir eben ein verrücktes Gespräch.«
    Bob ist von Natur aus risikofreudig und hat einen brillanten Geschäftssinn und Unternehmergeist. Er sollte für eine solche Diskussion eigentlich offen sein. Und er sollte wissen, dass einige der besten Ideen, der größten Erfindungen und der erfolgreichsten Unternehmen der Welt anfangs auf Widerstand stießen und für verrückt gehalten wurden. Er hat aufgehört, sich mit den Händen durchs Gesicht zu fahren, und seine Schläfen zucken nicht mehr. Doch er sieht mich an, als wüsste er nicht, wer ich bin. Seine Augen verraten Einsamkeit und Angst.
    »Es tut mir leid, Sarah. Ich will dieses Gespräch nicht führen. Und ich will dich nicht unter Druck setzen. Ich weiß, dass du noch immer viel durchmachst, aber ich denke, diese Gelegenheit solltest du dir nicht entgehen lassen. Wenn du wartest, werden sie jemand anderen finden, und sie werden dir dieses Angebot vielleicht nicht noch einmal machen. Das ist dein Weg zurück. Du

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