Mehr als nur ein halbes Leben
musst für uns zurück zu Berkley gehen.«
Sein letzter Satz klingt eher wie ein Befehl als wie eine Bitte. Aber genauso wenig, wie er mir befehlen konnte, mich wieder auf Skier zu stellen, kann er mir jetzt befehlen, wieder zur Arbeit zu gehen. Meine sture Unabhängigkeit war schon immer eine Wand, die Bob am liebsten eingetreten hätte. Es amüsiert mich, dass er es nach all den Jahren immer noch versucht. So gern er es manchmal – wie zum Beispiel jetzt – auch wäre, er war für mich noch nie der Boss. Unsere Ehe war schon immer eine gleichberechtigte Partnerschaft, auf Gedeih und Verderb. Im Allgemeinen ist das etwas Positives, etwas, worauf wir beide stolz sind, aber manchmal ist es zugegebenermaßen auch schwer, zwei Kapitäne auf ein und demselben Schiff zu haben, mit zwei Paar Händen am Steuerrad. Wenn Bob nach links lenken will und ich nach rechts, muss einer von uns nachgeben, sonst laufen wir Gefahr, die Felsen genau vor uns zu rammen und unterzugehen.
»Ich weiß, dass du Angst hast. Ich habe auch Angst. Aber du bist tapfer. Sieh dir nur all die Dinge an, denen du die Stirn geboten und die du besiegt hast. Ich bin so stolz auf dich. Wenn du jeden Tag die Kraft und den Mut aufbringen kannst, mit deinem Neglect zu kämpfen, dann weiß ich, dass du auch die Kraft und den Mut hast, wieder zur Arbeit zu gehen. Ich weiß, es ist beängstigend, aber ich glaube an dich. Sie glauben an dich. Du schaffst das. Du bist so weit.«
Der Gedanke, jetzt wieder zu Berkley zurückzukehren, ist beängstigend. Aber nicht so beängstigend, wie es ist, wenn man zum ersten Mal Snowboard fährt, versucht, ohne Gehstock zu laufen, oder wie eine schlecht gelaunte Martha. Und das ist auch nicht der Grund, weshalb ich nicht dorthin zurückwill. Seit der Business School habe ich mich immer ins Zeug gelegt, immer mit voller Kraft voraus, habe mich jeden Tag bis zum Umfallen verausgabt, stets nur ein einziges Ziel vor Augen: ein erfolgreiches Leben. Und nicht nur mittelmäßigen Erfolg. Sondern die Art von Erfolg, um die mich meine Kommilitonen an der Elite-Universität beneiden würden, die Art, die meine Professoren künftigen Studenten als leuchtendes Beispiel für Leistung präsentieren würden, die Art, der sogar die überdurchschnittlich erfolgreichen Bürger von Welmont nacheifern würden, die Art, auf die Bob stolz sein würde. Die Art von sichtlich erfolgreichem Leben, die in jeder Hinsicht genau das Gegenteil des kaputten, beschämenden Lebens meiner Kindheit sein würde.
Und dann habe ich meinen Wagen zu Schrott gefahren. Zum ersten Mal seit fast einem Jahrzehnt habe ich aufgehört, mit voller Kraft voraus diese Straße hinunterzurasen. Alles ist zum Stillstand gekommen. Und auch wenn dieser Stillstand in den letzten vier Monaten größtenteils eine schmerzliche und beängstigende Erfahrung gewesen ist, so hat er mir doch die Chance gegeben, den Kopf zu heben und mich umzusehen.
Und ich fange an, mich zu fragen: Was gibt es sonst noch? Vielleicht kann Erfolg auch etwas anderes sein, und vielleicht gibt es noch einen anderen Weg, um ihn zu erzielen. Vielleicht gibt es eine andere Straße für mich, mit einem vernünftigeren Tempolimit. Ob es daran liegt, dass ich nicht kann, dass ich zu viel Angst habe, dass sich etwas in mir verändert hat und etwas anderes will – oder vielleicht auch an einer komplexen Mischung aus allen drei Dingen –, kann ich nicht sagen, aber ich will nicht zurück zu Berkley. Ich will nicht zurück zu diesem Leben. Dieselbe Intuition, die mich zu Mike Green und dem Snowboardfahren geführt hat, führt mich jetzt irgendwo anders hin. Und ich vertraue ihr.
»Ich gehe nicht zurück zu Berkley.«
DREIUNDDREISSIGSTES KAPITEL
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Es ist früh am Samstagmorgen, noch bevor die Schwarzrückenspechte begonnen haben, an den Ahornbäumen und Kiefern zu trommeln, und bevor die Lifte am Berg öffnen. Linus ist eben von meinem Schoß gesprungen und liegt jetzt auf dem Boden, einen Laster in einer Hand, Bunny in der anderen, und nuckelt an seinem Schnuller. Er ist noch immer im Pyjama und sieht sich ein Sesamstraße -Video an, den Ton ganz leise gestellt. Charlie und Lucy spielen im Moment still in ihren Zimmern. Meine Mutter und ich sitzen vor einem sanft knisternden Kaminfeuer auf dem Sofa und genießen diesen friedlichen Beginn des Tages. Bob ist in Welmont geblieben. Er hat gesagt, er hätte dieses Wochenende zu viel zu tun, aber ich habe den Verdacht, dass er noch immer sauer auf mich ist und
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