Mehr als nur ein halbes Leben
medizinische Versorgung benötigt als ein paar Tabletten Motrin oder ein Heftpflaster. Ich starre in das Neonlicht. Das gefällt mir überhaupt nicht. Wo ist die Schwester? Bitte kommen Sie zurück. Gibt es hier denn keinen Knopf, den ich drücken kann, um sie zu rufen? Ich suche nach einem Knopf, einem Telefon, einem Lautsprecher, in den ich brüllen kann. Ich sehe das Neonlicht an der Decke und einen hässlichen beigen Vorhang, der neben mir hängt. Sonst nichts. Keine Fenster, keinen Fernseher, kein Telefon, nichts. Dieses Zimmer nervt.
Ich warte. Mein Kopf ist zu heiß. Ich versuche, nach der Schwester zu rufen, aber meine brutal behandelte Kehle bringt nur ein heiseres Flüstern zustande.
»Hallo?«
Ich warte.
»Bob?«
Ich warte. Ich warte eine halbe Ewigkeit, während ich mir vorstelle, wie mein Gehirn und alles, was ich liebe, dahinschmelzen.
Schon wieder dieses Neonlicht. Ich muss eingenickt sein. Meine Welt ist dieses Neonlicht. Das Licht und das leise, ununterbrochene elektronische Surren und Piepsen dieser ganzen Geräte – welche auch immer das sein mögen –, die mich überwachen. Mich überwachen und am Leben erhalten? Gott, ich hoffe nicht. Meine Welt sind Besprechungen und Termine, E-Mails und Flughäfen, Bob und meine Kinder. Wie konnte meine Welt auf das hier reduziert werden? Wie lange liege ich schon unter diesem hässlichen Licht?
Ich taste mit der Hand unter der Bettdecke an meinem Bein hinunter. Oh nein. Ich spüre die Stoppeln von mindestens einer Woche. Die Härchen an meinen Beinen sind hell, fast blond, aber ich habe Unmengen davon, und normalerweise rasiere ich sie mir jeden Tag. Ich reibe mit der Hand über meinen Oberschenkel, als würde ich eine Ziege im Zoo streicheln.
Oh Gott, mein Kinn. Ich habe ein Büschel von fünf Härchen auf der linken Seite meines Kinns. Sie sind rau und drahtig wie Schweineborsten, und in den letzten paar Jahren sind sie mein hässliches Geheimnis und meine Erzfeinde gewesen. Sie sprießen alle paar Tage, daher muss ich sehr wachsam sein. Ich habe meine Waffen – eine Revlon-Pinzette und einen Kosmetikspiegel mit Zehnfach-Vergrößerung – immer bei mir, zu Hause, in meiner Sherpatasche und in meiner Schreibtischschublade auf der Arbeit, sodass ich so ein bösartiges kleines Unkraut, wenn es an die Oberfläche sprießt, theoretisch überall ausreißen kann. Ich war schon in Besprechungen mit Vorstandsvorsitzenden – einigen der mächtigsten Männer der Welt – und konnte mich kaum auf das konzentrieren, was sie sagten, weil ich auf einmal unbeabsichtigt mein Kinn berührte und plötzlich völlig von dem Gedanken besessen war, fünf mikroskopisch kleinen Härchen den Garaus zu machen. Ich hasse sie, und ich habe schreckliche Angst, jemand anders könnte sie vor mir bemerken, aber ich muss zugeben, es gibt fast nichts Befriedigenderes, als sie auszureißen.
Als ich mir übers Kinn streiche, erwarte ich, meine kleinen Schweineborsten zu spüren, aber ich berühre nur glatte Haut. Mein Bein fühlt sich an wie ein Bauernhoftier, was vermuten lässt, dass ich mich seit mindestens einer Woche nicht rasiert habe, aber mein Kinn ist kahl, was bedeuten müsste, dass ich noch keine zwei Tage in diesem Bett liege. Meine Körperbehaarung ergibt keinen Sinn.
Ich höre die Stimmen von Schwestern in einem Gespräch, das – wie ich vermute – von dem Flur vor meinem Zimmer kommt. Und dann höre ich noch etwas. Es ist nicht der Apparat, der mich vielleicht oder vielleicht auch nicht am Leben erhält, nicht das Geplauder der Schwestern, nicht einmal das schwache Surren der Neonlampe. Ich halte den Atem an und lausche. Es ist Bobs Schnarchen!
Ich drehe den Kopf zur Seite, und da ist er, schlafend in einem Sessel vor dem beigen Vorhang.
»Bob?«
Er schlägt die Augen auf, sieht, dass ich ihn sehe, und schnellt hoch.
»Du bist wach«, sagt er.
»Was ist passiert?«
»Du hattest einen Autounfall.«
»Ist alles okay mit mir?«
Er sieht auf meinen Kopf, dann sieht er mir in die Augen und bewusst nicht auf meinen Kopf.
»Es wird alles gut werden.«
Seine Miene erinnert mich an das, was mit seinem Gesicht passiert, wenn er den Red Sox zusieht. Das neunte Inning ist fast gelaufen, es gab zwei Outs, es steht drei zu zwei, niemand ist auf einer Base, und sie haben vier Runs Rückstand. Er will glauben, dass sie noch immer gewinnen können, aber er weiß, dass sie vermutlich längst verloren haben. Und es bricht ihm das Herz.
Ich berühre die Klammern
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