Mehr als nur ein halbes Leben
auf meinem Kopf.
»Sie haben dich operiert, um den Druck zu lindern. Der Arzt sagt, du hast es sehr gut überstanden.«
Seine Stimme zittert bei seinen Worten. Die Sox sind nicht nur dabei zu verlieren, sie spielen auch noch gegen die Yankees.
»Wie lange bin ich schon hier?«
»Acht Tage. Sie haben dich ruhiggestellt. Du hast die meiste Zeit geschlafen.«
Acht Tage. Ich war acht Tage nicht bei Bewusstsein. Wieder berühre ich meinen kahlen Kopf.
»Ich muss fürchterlich aussehen.«
»Du bist wunderschön.«
Oh, bitte. Ich will ihn eben schon damit aufziehen, dass er mir mit einem so abgedroschenen Spruch kommt, als er zu weinen beginnt, und ich verstumme vor Schreck. In den zehn Jahren, die ich ihn nun schon kenne und liebe, habe ich ihn noch nie weinen sehen. Ich habe ihn zu Tränen gerührt gesehen – als die Red Sox 2004 die World Series gewannen und als unsere Babys geboren wurden –, aber ich habe ihn nie weinen sehen. Ich selbst weine schnell. Ich weine, wenn ich die Nachrichten sehe, wenn jemand die Nationalhymne singt, wenn jemandes Hund stirbt, wenn mir die Arbeit über den Kopf wächst, wenn mir zu Hause alles über den Kopf wächst. Und jetzt, als Bob weint.
»Es tut mir leid, es tut mir so leid«, schluchze ich jetzt mit ihm.
»Es muss dir nicht leidtun.«
»Es tut mir leid.«
Ich strecke eine Hand aus und berühre sein nasses, verzerrtes Gesicht. Ich kann sehen, dass er versucht, seine Emotionen wieder in den Griff zu bekommen, aber er ist wie eine geschüttelte Flasche Champagner, bei der ich eben den Korken gezogen habe. Nur dass niemand feiert.
»Dir muss gar nichts leidtun. Verlass mich nur nicht, Sarah.«
»Sieh mich an.« Ich zeige auf meinen Kopf. »Sehe ich so aus, als ob ich irgendwohin gehen werde?«
Er lacht und wischt sich die Nase mit dem Ärmel ab.
»Ich schaffe das schon«, sage ich, entschlossen trotz der Tränen.
Wir nicken und drücken uns die Hände, einigen uns auf eine Gewissheit, obwohl wir beide nichts wissen.
»Wissen es die Kinder?«, frage ich.
»Ich habe ihnen gesagt, dass du wegen der Arbeit verreist bist. Sie sind artig, es läuft alles nach Plan.«
Gut. Ich bin froh, dass er ihnen nicht gesagt hat, dass ich im Krankenhaus bin. Kein Grund, ihnen Angst zu machen. Zu Hause verbringe ich normalerweise vor der Schule ein, zwei Stunden mit ihnen und die letzte Stunde ihres Tages, aber es kommt auch vor, dass ich bis spätabends arbeiten muss und sie gar nicht mehr sehe, bevor sie ins Bett gehen. Und sie sind es gewohnt, dass ich viel reise und oft mehrere Tage am Stück nicht da bin. Trotzdem bin ich, wenn ich verreise, meist nicht länger als eine Woche fort. Ich frage mich, wie lange ich hier sein müsste, bis sie sich wirklich fragen, wo ich bin.
»Wissen sie es auf der Arbeit?«
»Ja, sie haben die meisten der Karten geschickt. Sie haben gesagt, du sollst dir um nichts Sorgen machen und einfach wieder gesund werden.«
»Was denn für Karten?«
»Dort drüben, an der Wand.«
Ich sehe hinüber zu der Wand, aber ich sehe nichts an ihr kleben. Ich erinnere mich an die Bemerkung einer Schwester zu den ganzen wundervollen Genesungskarten. Sie müssen an der Wand hinter dem Vorhang sein.
»Wie lange muss ich hierbleiben?«
»Ich weiß nicht. Wie fühlst du dich?«, fragt er.
Mein Kopf brennt nicht mehr, und erstaunlicherweise tut er nicht allzu weh. Aber ich bin überall wund – so muss sich ein Boxer nach einem Kampf fühlen, stelle ich mir vor. Der Boxer, der verloren hat. Und ich habe einen heftigen Krampf im Bein. Mir ist aufgefallen, dass manchmal eine Art Gerät an meinem Bein ist, das die Muskeln massiert, was hilft. Und ich habe keine Energie. Allein schon dieses Reden mit Bob in den letzten paar Minuten hat mich völlig geschlaucht.
»Ganz ehrlich?«
»Ja«, sagt er, und ich kann sehen, dass er sich auf irgendetwas Entsetzliches gefasst macht.
»Ich bin am Verhungern.«
Er lächelt erleichtert.
»Worauf hast du Lust? Du sollst haben, was du willst.«
»Wie wär’s mit Suppe?«, schlage ich vor, weil ich glaube, mit Suppe auf der sicheren Seite zu sein. Mir ist nicht ganz klar, ob ich schon alles essen darf, was ich will.
»Sollst du haben. Ich bin gleich wieder da.«
Er beugt sich vor und küsst meine aufgesprungenen Lippen. Ich wische ihm die Tränen von der Wange und dem Kinn und lächele. Dann verschwindet er hinter diesem hässlichen beigen Vorhang.
Jetzt bin ich wieder mit dem Neonlicht allein. Dem Neonlicht, dem Piepsen und
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