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Mehr als nur ein halbes Leben

Mehr als nur ein halbes Leben

Titel: Mehr als nur ein halbes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Genova
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Türknauf, sondern nur einen wackeligen Metallriegel, und der Toilettenpapierspender ist jetzt irgendwo links von mir und daher für mich völlig unbrauchbar.
    Nach etlichem Herumscheppern, Knurren und Vor-mich-hin-Murmeln schaffe ich es schließlich, mich umzudrehen und meinen Schlüpfer und meine Strumpfhose herunterzuziehen. Ich höre, wie in der Kabine neben mir Toilettenpapier abgerollt wird. Na toll. Ich bin sicher, wer immer dort drinnen sein mag, kann sich nicht vorstellen, was ich hier tue. Vergiss sie. Du hast es fast geschafft . Ich entscheide, dass ich den Toilettensitz am besten erreiche, indem ich mit der Hand langsam und vorsichtig an meinem Gehstock nach unten gleite – wie ein Feuerwehrmann an einer Stange –, bis ich lande. Wie durch ein Wunder schaffe ich es genau auf den Sitz.
    Als ich fertig bin, begreife ich zu meinem absoluten Entsetzen, dass ich feststecke. Ich muss bei der Landung meinen Gehstock umgestoßen haben, denn jetzt lehnt er an der Kabinentür, außer Reichweite. Ich versuche mir vorzustellen, wie ich ohne ihn aufstehe – und ohne Haltestange, ohne eine gemäßigte Oberkörper-Assistenz durch einen hoch qualifizierten Therapeuten, ohne Bob –, aber dabei sehe ich mich entweder mit dem Kopf voran gegen die metallene Kabinentür knallen oder rückwärts in die Schüssel fallen.
    »Bob?«, brülle ich.
    »Äh, nein, hier ist Paula«, meldet sich die Frau in der Kabine neben mir.
    Paula drückt die Spülung.
    »Boooob?!«
    Ich höre, wie Paulas Kabinentür aufgeht und ihre Schritte sich Richtung Waschbecken bewegen.
    »Hi, wie geht’s? Hübsches Kleid«, höre ich Bob.
    »Äh, ich, äh«, stottert Paula.
    »Entschuldigung, es ist unser Hochzeitstag, und wir halten es nicht aus, voneinander getrennt zu sein«, sagt er.
    Ich lache und höre Paulas Schuhe aus der Toilette huschen. Die Kabinentür schwingt sanft auf und stößt meinen Stock in meine Richtung um. Ich fange ihn auf. Und da steht Bob und grinst mich an.
    »Hast du mich gerufen?«
    »Kannst du mir hier bitte heraushelfen?«
    »Fertig?«
    Er zieht mich an den Achseln nach oben und zerrt mich aus der Kabine.
    »Du hättest das Gesicht dieser Frau sehen sollen«, sagt er.
    Wir lachen beide schallend auf.
    »Sie konnte gar nicht schnell genug von hier wegkommen«, sage ich.
    Wir lachen beide noch ein bisschen lauter.
    Die Tür zur Damentoilette geht auf. Die junge Frau vom Tisch neben uns kommt herein. Sie wirft einen Blick auf Bob, der mich unter den Achseln hält, sieht auf meine Füße, stöhnt auf, dreht sich auf dem Absatz um und stürzt wieder hinaus.
    Bob und ich sehen an mir herunter. Mein Schlüpfer und meine Strumpfhose liegen zerknautscht um meine Knöchel. Wir verlieren beide die Beherrschung. Ich habe schon lange nicht mehr so hemmungslos in Bobs Armen gelacht.
    »Na ja, Schatz, ich glaube, diesen Hochzeitstag werden wir nie vergessen«, meint Bob.
    Nein, ich glaube nicht, dass wir das je tun werden.

DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
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    »Komm schon«, sagt Bob.
    Er trägt seine blaue North-Face-Skijacke, Skihose, seine reflektierende Sonnenbrille an einer schwarzen Kordel um den Hals und dazu seinen allerbesten, fröhlichen Optimismus. Er hält meine neuen Skier, die K2 Burnin’ Luvs. Sie sind glänzend und elegant, mit einem Wirbeldesign in rostigem Orange auf noch nie benutztem Weiß, mein großes Weihnachtsgeschenk von Bob. Sie sind umwerfend, und normalerweise würde ich beim Anblick brandneuer Skier jubeln und mir vorstellen, wie toll sie reagieren werden. Ich könnte es kaum erwarten, am nächsten Morgen so früh wie möglich auf die Piste zu kommen. Aber jetzt verspüre ich nur Druck.
    »Ich bin noch nicht so weit«, sage ich.
    Es ist drei Tage nach Weihnachten, und wir sind in Vermont. Linus hält ein Nickerchen, und Charlie und Lucy sind im Windfang und ziehen sich für den Skiunterricht an. Ich sitze noch immer im Pyjama an unserem Esstisch, die New York Times vom letzten Sonntag ausgebreitet vor mir. Bob ist übers Wochenende hier, und meine Mutter, die Kinder und ich bleiben die ganze Woche, in der Schulferien sind. Bob ist nicht allzu begeistert davon, mich eine ganze Woche ohne ihn hier oben zu lassen, noch dazu in einem Haus, das nicht professionell sarahgesichert wurde, aber ich habe ihn davon überzeugt, dass eine Woche in Vermont mir guttun würde. Eine Woche in Vermont tut mir immer gut.
    »Es war deine Idee«, erinnert mich Bob.
    »Ich habe nie gesagt, dass ich Ski fahren will«, sage

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