Mehr als nur ein halbes Leben
Dingern trägt.
»Danke.«
Bobs iPhone summt auf der Tischplatte, und er nimmt ab.
»Arbeit«, erklärt er und liest eine SMS, während seine Miene zunehmend Besorgnis verrät.
»Nein. Oh nein. Oh Gott«, sagt er.
Er tippt mit dem Zeigefinger eine Antwort, drückt weitaus fester auf die Tasten als nötig, das Gesicht zu einer verbissenen Grimasse verzerrt. Dann hört er auf zu schreiben, tippt jetzt auf andere Tasten und scrollt; vermutlich liest er eine E-Mail. Sein Gesicht ist noch immer von der schrecklichen Nachricht gezeichnet, die er in dieser SMS erhalten hat. Jetzt schreibt er wieder.
Sein Haar – normalerweise ein militärisch kurzer Bürstenschnitt – muss dringend gestutzt werden; es fällt ihm wie eine Tolle in die Stirn und ringelt sich an seinen Ohren und im Nacken. Außerdem hat er sich einen Bart wachsen lassen, was ich noch nie besonders schön fand, weil der sein gut aussehendes Gesicht verdeckt und die zarte Haut der Kinder kratzt, wenn er sie küsst. Er sieht müde aus, aber nicht müde vom Schlafmangel, auch wenn ich mir sicher bin, dass er nicht genügend Schlaf bekommt. Er sieht erschöpft aus. Armer Bob.
Ich bin fertig damit, Bobs Gesicht zu mustern, aber er ist noch nicht fertig mit der Geschichte, in die er da auf einmal hineingezogen wurde. Daher beschließe ich, andere Leute zu beobachten. Das junge Paar neben uns teilt sich eine Flasche Champagner. Ich frage mich, was sie wohl feiern. Die junge Frau lacht kokett und ansteckend, und der junge Mann beugt sich über den Tisch vor und küsst sie. Sie berührt sein Gesicht und lacht dann wieder schallend los.
Ich lächle, infiziert von ihrer romantischen Energie. Ich wende mich wieder Bob zu, will ihn auf dieses junge Paar aufmerksam machen – und erkenne die hypnotische, undurchdringliche Gebanntheit seiner Konzentration. Jetzt ist er wirklich nicht mehr da. Sein Körper sitzt mir vielleicht noch gegenüber, aber dieser Bob ist nur noch eine Hülle, ein Hologramm, ein Avatar des echten Bob. Mein Lächeln schwindet. Ich warte und warte. Dass die Arbeit in unser Privatleben eindringt, ist nichts Ungewöhnliches, und in der Vergangenheit hat es mir nie etwas ausgemacht. Verdammt, noch vor einem Monat hätten wir beide mit gesenkten Köpfen hier gesessen, wie verhext von unseren Handys, zwei Avatars beim Abendessen. Aber ich habe keine SMS zu schreiben, keine E-Mails zu lesen und niemanden anzurufen, und allmählich fühle ich mich einsam, verlegen und gelangweilt. Das junge Paar neben uns lacht wieder schallend auf, und beinah bitte ich sie, leiser zu sein.
Doch unsere Bedienung kommt, reißt Bob aus seiner Trance und rettet mich vor mir selbst. Sie stellt sich und die Angebote des Tages vor und fragt uns, ob wir schon etwas trinken möchten.
»Ich nehme den Shiraz des Hauses«, sage ich.
»Wirklich?«, fragt Bob.
Ich zucke mit den Schultern und lächle, während ich mich frage, ob er versuchen wird, mich zu einem Ginger-Ale zu zwingen. Es ist nicht so, dass ich keinen Alkohol trinken dürfte, aber ich bin sicher, dass Martha es nicht gutheißen würde. Ich weiß, dass ich nach dem Essen noch vier Blocks zurück zu unserem Wagen schaffen muss, und vermutlich sollte ich nicht trinken, wenn ich mit dem Gehstock unterwegs bin, aber es ist ja nur das eine Glas. Ich will ein ganz normales Abendessen mit meinem Mann genießen, und normalerweise würde ich mir dazu ein Glas Wein bestellen. Um genau zu sein, würden wir uns normalerweise eine ganze Flasche teilen, und ich werde nur ein Glas trinken, das heißt, ich schütte nicht gleich die Vorsicht mit dem Badewasser aus, oder wie auch immer dieser Spruch heißt. Ich will feiern, und es wird mich entspannen. Ich habe es verdient, mich für einen Augenblick zu entspannen. Alles, was ich noch tue, ist, nach links zu sehen, links zu suchen, links zu finden. Ich will ein Glas köstlichen Rotwein in der rechten Hand halten und mit meinem entzückenden, wenn auch leicht behaarten und unhöflichen Ehemann auf meinen Hochzeitstag anstoßen. Ich will essen, trinken und so fröhlich sein wie das junge Paar neben uns.
»Ich nehme dasselbe«, sagt Bob. »Und ich denke, das Essen können wir auch schon bestellen.«
Wir kennen die Speisekarte auswendig, was heute Abend besonders praktisch ist, weil es bedeutet, dass ich mich nicht damit abmühen muss, die linke Seite oder die linke Hälfte der rechten Seite zu lesen, oder Bob bitten muss, sie mir vorzulesen. Wir bestellen das Übliche.
»Bist du
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