Mehr als nur ein halbes Leben
auch wenn ich gern bereit bin, alle möglichen absurden Rehahilfsmittel und -techniken zum Lesen, Laufen und Essen auszuprobieren, so weigere ich mich doch, irgendwelche roten Lineale, orangefarbenen Klebebänder, Gehstöcke oder therapeutischen Sex-Utensilien in unser Schlafzimmer zu lassen. Ich will normalen Sex mit meinem Ehemann haben, bitte.
»Es tut mir leid, ich kann mein linkes Bein nicht finden«, sage ich, auf einmal überwältigt von dem Wunsch, es wäre eine Prothese und ich könnte das nutzlose Ding einfach abnehmen und auf den Boden werfen.
»Das macht nichts«, beruhigt er mich.
Wir schaffen es, in Schwung zu kommen, und mir fällt auf, dass Bob mein linkes Bein hält, indem er unter dem Knie dagegendrückt und so mein Gleichgewicht hält. Es erinnert mich daran, wie er mein Bein festgehalten hat, als ich bei den Geburten unserer Kinder pressen musste. Meine Gedanken verlieren sich in Erinnerungen an diese Geburten – Wehen, PDAs, Fußstützen, Dammschnitte. Ich reiße mich zusammen und verscheuche die Gedanken, als mir bewusst wird, dass solche Bilder völlig unpassend und kontraproduktiv für das sind, was ich im Augenblick tue.
»Entschuldige, mein Bein ist so behaart«, sage ich.
»Pst.«
»Entschuldige.«
Er küsst mich – vermutlich, um mich zum Schweigen zu bringen –, und es klappt. Alle aufdringlichen Gedanken und die Verlegenheit lösen sich auf, und ich schmelze dahin: von seinem Kuss, unter seinem Gewicht und davon, wie gut er sich anfühlt. Es ist vielleicht kein vollkommen normaler Sex, aber er ist normal genug. Und irgendwie eben doch vollkommen.
Bob zieht sich wieder an, hilft mir in meinen Pyjama, und wir legen uns beide wieder nebeneinander hin.
»Ich vermisse das Zusammensein mit dir«, sagt er.
»Ich auch.«
»Wie wär’s mit einem Date vor einem knisternden Kamin, wenn ich wiederkomme?«
Ich lächle und nicke. Er sieht auf die Uhr.
»Ich sollte besser los. Macht euch eine schöne Woche. Und wir sehen uns am Samstag.« Er küsst mich.
»Komm am Freitag.«
»Ich werde gleich am Samstagmorgen kommen.«
»Nimm dir den Freitag frei. Komm am Freitagmorgen.«
»Ich kann nicht. Ich muss wirklich arbeiten.«
Aber er hat einen winzigen Augenblick lang gezögert, bevor er gesprochen hat, daher weiß ich, dass seine Fassade bröckelt.
»Lass uns darum knobeln«, schlage ich vor.
Eine gebannte Sekunde lang starren wir uns an. Wir wissen beide, was nach dem letzten Knobeln passiert ist.
»Okay.« Er zieht mich hoch, sodass ich ihm gegenübersitze.
Wir ballen beide die Fäuste.
»Eins, zwei, dreeii!«, sage ich.
Bobs Papier wickelt meinen Stein ein. Ich habe verloren. Aber Bob kostet seinen Sieg nicht aus.
»Ich werde mir am Freitag den halben Tag frei nehmen und am frühen Freitagabend herkommen«, sagt er.
Ich greife nach seiner Hand, ziehe ihn an mich und umklammere ihn fest mit einem Arm.
»Danke.«
Er steckt mich unter eine dicke Fleecedecke und eine Daunendecke.
»Gut so?«, fragt er.
Es ist eigentlich noch nicht meine Schlafenszeit, aber ich habe nichts dagegen, früh ins Bett zu kommen. Seit ich aus Baldwin wieder zurück bin, bekomme ich jede Menge Schlaf, mindestens neun Stunden jede Nacht, dazu jeden Nachmittag ein oder zwei Stunden ein Nickerchen, und ich genieße es. Zum ersten Mal, seit ich mich erinnern kann, fühle ich mich nicht erschöpft, wenn ich morgens aufwache.
»Ja. Bitte fahr vorsichtig.«
»Mache ich.«
»Ich liebe dich.«
»Ich dich auch. Träum was Schönes.«
Ich lausche auf die Geräusche seines Aufbruchs, und dann beobachte ich den Strahl der Scheinwerfer, der über die Schlafzimmerwände wandert, als Bob aus der Ausfahrt und davonfährt. Es ist nach 20.00 Uhr, aber ich kann immer noch die Äste und Stämme der Ahornbäume und Kiefern vor dem Fenster sehen, pechschwarze Silhouetten vor einem cremig blauen Himmel. Draußen muss der Mond heute Abend hell scheinen. Ich glaube nicht, dass es in ganz Cortland irgendwo Straßenlaternen gibt.
Bob hat die Schlafzimmertür einen Spaltbreit offen gelassen – vermutlich, damit meine Mutter mich hören kann, falls ich um Hilfe rufen muss. Der Schein des Feuers, das noch immer im Kamin brennt, tänzelt durch die Öffnung. Ich lausche auf das Prasseln und Knistern des Holzes, während ich in den Schlaf sinke, graue Schatten überall um mich herum.
FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL
----
Es ist Montagmorgen, und meine Mutter räumt das Frühstücksgeschirr ab. Für mich gab’s
Weitere Kostenlose Bücher