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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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Auf dem Sofa liegt eine Zigarettenkippe. Wenn ich nicht rechtzeitig nach Hause gekommen wäre, wäre sie jetzt tot.
    Ich reiße die Fenster auf, schmeiße die Flaschen in den Müll und vergewissere mich, dass das Feuer richtig aus ist. Dann gehe ich wieder vor die Tür, wo Mum alles, was sie in sich reingeschüttet hat, auf den Gartenweg reihert. Ein Nachbar, der gerade vorbeikommt, schaut angewidert zu uns herüber und geht rasch weiter. Würde ich auch gern tun. Stattdessen hole ich Mum ein Glas Wasser, suche Schrubber und Scheuerlappen und kippe ein bisschen Wasser auf den Weg.
    Sie weint. »Tut mir leid, tut mir schrecklich leid, Ty.«
    »Verdammt, Mum, sei bloß still, ja? Warte, bis wir wieder drin sind.«
    Sie schluchzt, ich wische im Dunkeln auf und nach einer Weile gehen wir rein und machen die Haustür hinter uns zu. Es stinkt immer noch alles nach Rauch. Wir setzen uns in die Küche und ich mache uns Tee. Als ich im Kühlschrank nach Milch suche, sehe ich, dass sie tatsächlich Hühnchen und Gemüse zum Abendessen gekauft hat. Wäre ich doch bloß gleich heimgegangen!
    Klar habe ich meine Mum schon früher betrunken gesehen. Wenn sie mit ihren Freundinnen ausgeht, trinken alle was, wahrscheinlich immer ein bisschen zu viel. Ich habe sie rumkichern gesehen und angetütert und manchmal wird sie auch laut. Aber sie ist immer guter Laune, singt und hat Spaß dabei. Wenn sie ordentlich |73| einen draufmachen will, schickt sie mich zu Gran, dann kriege ich nur am nächsten Tag den Kater und das bleiche Gesicht mit. Aber so was wie heute hat sie noch nie gemacht. Allein trinken? Bis sie das Bewusstsein verliert?
    Sie hört gar nicht mehr auf zu heulen. Ich kann nirgends Papiertaschentücher finden, darum hole ich eine Rolle Klopapier und stelle sie vor ihr auf den Tisch. Dann sitzen wir einfach da; sie weint, ich schweige mit verschränkten Armen. Als wäre ich der strenge Vater und sie der ausgeflippte Teenager.
    »Ty   … Ich war einfach   … so schrecklich einsam. Ich dachte, ein Schluck tut mir gut.«
    »Einer oder sechs?«
    »Ich wusste nicht, wo du bist. Ich hab mir Sorgen um dich gemacht. Ich dachte, ich trinke nur noch eine. Danach weiß ich nichts mehr.«
    Das ist nicht meine Schuld. »Dann bist du beim Rauchen ohnmächtig geworden und hast das Sofa angezündet.«
    »Tut mir leid, tut mir leid. Ich bin eine Rabenmutter.«
    Jetzt will sie, dass ich sie in den Arm nehme und ihr sage, wie lieb ich sie habe und was für eine tolle Mum sie ist. Ty hätte das getan, aber Joe ist kalt und abweisend und unversöhnlich. Ich verachte den alten Ty fast so sehr wie ich Mum hasse. »Muttersöhnchen« hat mich Arron manchmal genannt, das war mir immer total peinlich. Joe wird so was nicht passieren.
    Ich sage, was ihr am meisten wehtut: »Mir wär’s lieber, |74| Gran wäre mit mir hierhergekommen und nicht du.« Dann gehe ich ins Wohnzimmer und schalte den Fernseher aus. Es riecht immer noch ziemlich streng da drin, aber ich muss die Fenster zumachen, damit wir ins Bett gehen können, ohne dass jemand heimlich einsteigt. Erst als ich das Handtuch vom Sofa nehme, entdecke ich Mums Handy. Was hat sie damit angestellt, als sie betrunken war?
    Ich sehe mir die gewählten Nummern an. Die meiner Gran leuchtet mir entgegen. Wusste ich’s doch! Ich hab’s geahnt, dass sie etwas unglaublich Dummes gemacht hat. Mir fällt sofort Doug ein, wie er gesagt hat, dass Mobilfunknetze unglaublich leicht zu überwachen sind. Was passiert, wenn jemand Grans Telefon abhört? Muss ich jetzt Doug verständigen? Kann ich jetzt nicht mehr Joe bleiben?
    Ich gehe wieder in die Küche. Ich gebe Mum das Handy und sie sieht mich an. Bestimmt überlegt sie, ob ich weiß, was sie gemacht hat. Ich sage bloß: »Es ist schon spät, lass uns ins Bett gehen«, aber als ich dann oben wach in meinem halb leeren Zimmer liege, höre ich sie unten noch lange weinen. Ich habe sämtliche Fenster in unseren Schlafzimmern geöffnet, damit wir nicht an Rauchvergiftung sterben. Es ist schweinekalt.
    Ich erinnere mich an eine Zeit, als ich ungefähr sechs Jahre alt und mal wieder bei Gran war. Ich saß unter dem Tisch und spielte mit meinen Autos und Tante Louise unterhielt sich mit Gran. Lou sagte: »Nicki muss sich einfach besser in den Griff kriegen, sonst passiert so |75| was immer wieder, und dann hast du alles am Hals.« Und Gran antwortete: »Du weißt doch, dass ich immer für meinen kleinen Schatz da bin, Louise.« Ich fuhr meine Autos   –

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