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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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hat.«
    Sie arbeitet gern mit mir. Mir wird ganz warm und wohlig im Bauch. Zugleich spüre ich ein peinliches Glühen im Gesicht, als ich überlege, was sie Mr Henderson denn nun über mich erzählt hat.
    »Am besten du entschuldigst dich gleich morgen früh bei Mr Hunt. Erklär ihm, dass du neu an der Schule bist und dass manches für dich noch ungewohnt ist.«
    »Das weiß er doch   … und was ist jetzt mit dem Nachsitzen?«
    »Das musst du wahrscheinlich morgen nachholen. Vielleicht lässt er dich doppelt nachsitzen. Allerdings bist du ohnehin bereits aktenkundig. Wir haben dich also auf dem Kieker.«
    »Wie jetzt?”
    Er sieht ein bisschen verlegen aus. »Wenn dir das noch niemand gesagt hat, sollst du es wahrscheinlich auch nicht wissen. Entschuldige.«
    |95| »Aber Sie haben es mir gerade verraten. Und ich weiß nicht mal, worum es geht.« Es klingt jedenfalls ziemlich unangenehm.
    »Das heißt nur, dass der Schulleiter regelmäßig über dein Verhalten und deine Fortschritte unterrichtet werden will. Das machen wir bei unverbesserlichen Unruhestiftern oder bei neuen Schülern, die bereits an ihrer alten Schule Ärger hatten, vielleicht auch der Schule verwiesen wurden, solche Fälle halt.«
    Dabei bin ich dem Schulleiter noch nicht einmal begegnet. Ist das Dougs Methode, mich in der Schulzeit zu bespitzeln? Kennt der Schulleiter meine Geschichte? »Es scheint dich nicht sonderlich zu verwundern, Joe«, sagt Mr Henderson.
    »Nein, ich weiß schon, warum«, antworte ich. »Ich kann es nicht richtig erklären, aber ich bin trotzdem kein Unruhestifter und ich möchte das Beste aus dieser Chance machen.«
    Er merkt, dass er nicht mehr aus mir rauskriegt, und fragt: »Konntest du an deiner alten Schule denn nicht trainieren? Haben die nicht erkannt, dass du ein begabter Läufer bist? Ist deinen Eltern dein Talent denn nicht aufgefallen?«
    An der St. Saviours gab es so gut wie keinen Sport. Nur einen Wahlkurs, für den man sich anmelden und dann auch noch nach der Schule eine halbe Stunde bis zu einem Sportzentrum latschen musste. Ich habe mich sogar dafür interessiert, aber Arron war dagegen. Er meinte, |96| ich könne auf gar keinen Fall mit den ganzen Schickimicki-Typen dort hingehen und er schon gar nicht.
    Ich bin einmal mit zum Training im Laufsportverein in unserem Stadtviertel gegangen, aber als ich hinkam, waren alle anderen schwarz, und obwohl sie eigentlich ganz nett zu mir waren, fühlte ich mich irgendwie fehl am Platz und bin nicht mehr hingegangen. Bin ich deshalb ein Rassist? Ich hoffe doch nicht.
    »So eine Schule wie die hier kannte ich gar nicht«, sage ich. »In unserer alten Schule hatten wir keine Anlagen wie hier. Und meine Mum hat sich eher um Fächer wie Mathe gekümmert.«
    »Hm. Hör mal, am Sonntag sind wir Gastgeber der Leichtathletikmeisterschaften der Schulen. Wenn du willst, kannst du bei einem Lauf starten. Bring deine Mum doch einfach mit und dann führst du ihr mal vor, was du kannst. Ellie ist bestimmt auch damit einverstanden.«
    Hmm. Ellie vielleicht. Ich nicht.
    »Kommt doch so gegen elf. Und ich spreche morgen mit Mr Hunt und versuche, die Sache für dich auszubügeln. Wenn dir danach ist, kannst du jederzeit zu mir kommen und mit mir reden.«
    Auf dem Heimweg stürzen sämtliche Ängste, die ich den ganzen Tag zurückgedrängt habe, plötzlich auf mich ein. Wie konnte ich Mum mit Doug allein lassen? Hat sie uns wirklich in Gefahr gebracht? Geht es Gran gut? Müssen wir wieder umziehen? Soll Joe sang- und klanglos verschwinden?
     
    |97| Im Haus ist es dunkel und still. Ich frage mich, ob Mum überhaupt da ist, aber dann taucht sie oben an der Treppe auf. »Ich bin in meinem Zimmer«, sagt sie, und ich nehme zwei Stufen auf einmal.
    Ihr Koffer liegt auf dem Bett. Der Schrank ist leer. Ich schaue verzweifelt vom einen zum anderen. »Müssen wir wieder weg? Halten sie es für zu gefährlich hier?«
    »Nein. Die Polizei möchte, dass wir hierbleiben. Sie sind der Meinung, dass wir hier weiterhin gut aufgehoben sind. Aber mir reicht’s. Ich habe ihnen gesagt, dass du überhaupt nichts aussagst. Wir fahren nach Hause.«

|98| Kapitel 9
Lügen
    Das könnte gefährlich werden. Die Gefahr besteht darin, dass sie diejenige ist, die kalt, hart und entschlossen ist, und ich derjenige, der nichts mehr im Griff hat, der nur noch rumschimpft und schreit. Am liebsten würde ich sie durchschütteln. Am liebsten würde ich um mich schlagen   … jemanden schlagen   …
    Das geht nicht.

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