Mehr als nur ein Zeuge
irgendwelche Sorgen machen?«
Brian hat keine Ahnung, was ich meine, das sehe ich in seinen unschuldigen dreizehnjährigen Kleinstadtaugen. »Carl spielt sich öfter mal auf, aber das ist wahrscheinlich alles nur Gerede«, sagt er. »Normalerweise sucht er sich jemanden aus, der kleiner ist als du.«
Klingt schon mal gut, aber es genügt mir noch nicht. »Das heißt, ich brauche … auf nichts gefasst zu sein oder so?« Er kapiert immer noch nichts. Ich muss noch deutlicher werden. »Waffen, Messer, Bri, so was hat hier doch keiner, oder?«
Endlich fällt der Groschen. Er schüttelt den Kopf. »Ach du Sch … nein, ich glaub nicht.« Er sieht neugierig aus, fast bewundernd. »Kennst du dich mit solchen Sachen aus?«
Vorsicht. Ich wechsle so geschickt das Thema wie Ronaldo seine Übersteiger macht. »Am Samstagvormittag treffen sich doch alle im Einkaufszentrum, oder?«
»Ja … willst du mitkommen?«, fragt Brian halb gespannt, halb hoffnungsvoll.
»Eigentlich schon, aber … na ja, meine Mum hat nämlich |89| Geburtstag, und da will sie, dass ich mit ihr shoppen gehe, aber ich weiß nicht genau, ob das nicht komisch aussieht, und …« Mir wird klar, dass ich mich mit Messern und Schlägereien besser auskenne als mit Einkaufsetikette.
»
Du
kannst dir so was leisten«, sagt Brian entschieden. »Über
mich
würden sich alle lustig machen. Hängt natürlich auch von deiner Mum ab. Ist sie cool?«
Die unausgesprochenen Worte »so wie du« hängen in der Luft, und auf einmal habe ich keine Bedenken mehr wegen dem Shoppen. Vor einem halben Jahr, als Mum noch viel cooler war und ich überhaupt nicht, wäre das überhaupt kein Thema gewesen.
»Sie ist okay. Vielleicht kann ich sie ja irgendwo hinschicken und dann mit euch ein bisschen rumhängen«, sage ich und Brian ist eindeutig begeistert. Unwillkürlich vergleiche ich seine spontane Freundlichkeit mit Arron. Arron, der einfach keine Zeit mehr für mich zu haben schien. Arron mit seinen unheimlichen neuen Freunden. Arron mit seinen kleinen Sticheleien und abfälligen Bemerkungen, bei denen ich mich immer gefragt habe, ob er wirklich nicht mehr mein Freund sein will … aber dann kam er mit dem iPod an … Ich denke an Ty, den geduldigen, ängstlichen Ty, der die ganze Zeit die vielen widersprüchlichen Botschaften seines Freundes zu deuten versucht, und mir ist dieser Vollidiot so was von peinlich … ich meine mich … Es fällt mir immer schwerer, mich dran zu erinnern, dass ich Ty war, dass er tatsächlich derselbe war, der ich jetzt bin.
|90| Wir ziehen los und kicken mit Brians Freunden ein bisschen auf dem Schulhof herum, und alles ist gut, bis Carl mit seinen Kumpels aufkreuzt und mitmachen will. Sie treten den Ball hierhin und dahin, dann tritt mir Carl bei einem Angriff absichtlich gegens Schienbein. »Aua!« Ich gehe zu Boden. Carl und seine Kumpels brüllen vor Lachen. Zum Glück hat er keine Stollen an, sonst hätte ich jetzt ein pulverisiertes Bein.
»Pass doch auf!«, rufe ich, humpele davon und überlege, ob ich heute überhaupt bei Ellie trainieren kann. Im Lauf des Nachmittags bildet sich ein riesiger blauer Fleck, der ganz schön wehtut, als ich zum verabredeten Treffpunkt an der Laufbahn aufbreche.
»Was hast du?«, fragt sie sofort und ich kremple die Hose hoch. »Autsch, das sieht nicht gut aus. Wie ist das passiert?«
»Ach, halb so wild. Wir haben auf dem Schulhof ein bisschen Fußball gespielt und da ist so ein Blödmann voll in mich rein.«
»Ich kann mir denken, welcher.«
»Ja, ja, ist schon gut.«
»Was war denn gestern? Geht’s deiner Mum wieder besser?«
»Glaub schon.« Wie mag es Mum wohl heute ergangen sein? Und was war eigentlich mit Doug heute Morgen? Hat sie sein Besuch wieder aus der Bahn geworfen? Was werde ich vorfinden, wenn ich nach Hause komme? Ich muss an die Zigarettenpackung denken, die sie wieder aus dem Mülleimer gefischt hat.
|91| »Ellie«, sage ich, »manchmal redet meine Mum davon, dass wir, na ja, vielleicht wieder von hier wegziehen.«
»Wieder nach London?«
»Kann sein.« Woher wissen eigentlich alle hier, dass wir aus London sind? Habe ich etwas in der Richtung gesagt? Nicht dass ich wüsste. Vielleicht hängt mir der Großstadtgeruch einfach an. Vielleicht auch nicht. »Also, wenn ich, du weißt schon, auf einmal weg bin, dann mach dir wegen mir keinen Kopf. Ich komm schon klar.«
Sie sieht mich ganz komisch an. »Wie du meinst, Joe. Trotzdem wäre es ganz schön,
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