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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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Das darf ich nicht. Ich hole tief Luft und setze mich aufs Bett. »Wie meinst du das? Wir können nicht mehr nach Hause.« Ich gebe mir Mühe, ruhig und vernünftig zu klingen.
    »Warum nicht? Wenn du nicht aussagst, interessiert sich kein Mensch für uns. Wir haben überhaupt nichts mehr damit zu tun. Das kapiert jeder. Warum sollte uns dann noch jemand etwas tun?«
    »Und was ist mit der Gerichtsverhandlung?«
    »Die geht uns nichts an. Du hast damals getan, was du konntest, jetzt ändert das sowieso nichts mehr.« Sie legt wild entschlossen Kleider zusammen und setzt hinzu: »Für wen tust du das überhaupt? Für Arron? Das ist zu spät. Viel zu spät.«
    »Es gibt auch noch andere Leute.«
    |99| »Weiß ich.« Ihr Gesicht ist verschlossen. »Aber wir müssen zuerst an uns denken.«
    »Wie stellst du dir das bitte schön vor? Wie kommst du bloß auf die Idee, dass wir einfach zurückgehen und alles ist wieder wie früher? Unsere Wohnung ist ausgebrannt!«
    »Von Doug weiß ich, dass das Feuer im ersten Stock gelöscht werden konnte, bevor es unsere Wohnung allzu schlimm verwüstet hat.«
    Ist ja nett, dass ich das auch mal erfahre. Allmählich kocht eine stumme Wut in mir hoch.
    »Wir können nicht wieder zurück«, stoße ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, damit ich nicht losbrülle.
    »Aber ja doch. Wieso nicht? Für uns interessiert sich niemand mehr.«
    Ihre Entschlossenheit ist wieder da, ihr Schwung, von dem ich schon geglaubt hatte, er sei ein für alle Mal verschwunden. Es überwältigt mich. Es ist wieder wie früher   – sie marschiert vorneweg und ich laufe hinterher.
    Ich stelle mir vor, wie wir unser altes Leben wieder aufnehmen. Wie ich meine Tanten besuche und wieder meine Zeitungstour mache. Wie ich wieder mit kurzen Haaren auf die St. Saviours gehe und tonnenweise Hausaufgaben kriege. Ich denke an meine Mitschüler auf dem Schulhof. Nur Arron ist nicht dabei. Dann rieche ich wieder das Benzin, höre die Explosion und das Knistern der Flammen, die Mr Patels Laden auffressen. Sie irrt sich. Sie ist verrückt.
    |100| »Vergiss es!« Jetzt werde ich lauter. »Die gehen garantiert auf Nummer sicher, dass wir es uns nicht noch mal anders überlegen. Wir müssten die ganze Zeit auf der Hut vor ihnen sein. Und die Polizei wäre auch nicht begeistert. Stell dir mal vor, die behaupten, dass   … dass ich auch mit in der Sache drinhänge.«
    »Das ist doch Unsinn.«
    Ich komme mir hundert Jahre älter vor als meine eigene Mutter.
    »Wieso? Ich war schließlich dabei! Ich könnte ebenso gut mitgemacht haben. Stell dir vor, jemand findet heraus, dass ich ein Messer hatte.«
    Kaum ist es mir herausgerutscht, würde ich mir am liebsten auf die Zunge beißen. Ich würge so an dem Wort herum, dass ich mich anhöre wie ein gackerndes Huhn. Aber jetzt ist es raus. Sie hat’s gehört.
    »Du hattest ein Messer? Was soll das heißen, Ty?« Ihre Stimme schwankt.
    »Ich hatte damals im Park ein Messer dabei.«
    Sie sieht mich an, als würde ich ihr gerade eine Klinge an die Kehle drücken. »Ein Messer? Du hast ein Messer bei dir gehabt? Du hast die Polizei angelogen? Bist du denn völlig bescheuert?« Dann haut sie mir eine runter, mit voller Wucht.
    »Aua! Lass das!«
    Es tut echt weh. Ich drehe mich zur Seite, damit sie nicht sieht, wie mir die Tränen kommen.
    »Was soll ich denn sonst machen? Du hast es verdient. Herrgott, Ty, was hätte ich denn noch alles machen sollen, |101| um dafür zu sorgen, dass du es einmal besser hast! Ich habe geschuftet wie eine Blöde, damit wir ein Zuhause haben, damit ich dir was zu essen und zum Anziehen kaufen kann, damit ich dir   – das habe ich jedenfalls gehofft   – ein paar Werte vermitteln kann und gute Manieren. Ich war so stolz, als du an der St. Saviours angenommen wurdest. Und dir fällt nichts Besseres ein, als mit einem Messer in der Hosentasche durch London zu spazieren. Ich habe mich doch nicht krummgelegt, damit du irgendwann vorbestraft wirst.«
    Sie hebt die Hand, und ich spüre, dass sie mir am liebsten gleich noch eine knallen würde, aber sie lässt die Hand wieder sinken. Ich würde am liebsten zurückschlagen. Ich kann es nicht ausstehen, wenn ich mich schuldig fühlen muss, bloß weil ich Essen und Kleidung brauche.
    »Ich habe es nie benutzt«, sage ich und erinnere mich daran, wie schwer das Messer in meiner Hand gelegen hat.
    »Was hast du dir bloß dabei gedacht?«
    Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Arron meinte, es wäre

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